Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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21AUG2021
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Abschiedlich leben! Zu wissen: mein Leben hat ein Ende und es ist in Ordnung. Wie das gehen kann, das zeigt mir Erna. Erna ist inzwischen 93 Jahre alt. Sie hat in ihrem Leben schon so einiges durchgemacht. Sie hat den Krieg erlebt, musste flüchten und dann die harte Nachkriegszeit überstehen. Erna hat früh ihren Mann verloren, ihre Kinder sind da noch klein gewesen. Leicht war es sicher oft nicht und doch lebt sie heute oft und viel in dieser Vergangenheit.

Aber da sind auch noch viele Antennen in der Gegenwart und Zukunft. Erna hat neulich zu mir gesagt: „Weißt du, ich bin alt, habe mein Leben gelebt und es ist gut so. Jetzt im Alter sortieren sich im Leben doch viele Sachen. Es gibt inzwischen so vieles was ich nicht mehr tun muss. Und das ist auch befreiend.“ Ein wundervoller Gedanke, wie ich finde. Erna kann dem Alter etwas abgewinnen. Sie kann gut umgehen mit ihrer Endlichkeit und nimmt auch hin, dass sie gebrechlich geworden ist. Sie lebt „abschiedlich“. Die Kraft und damit die Möglichkeiten werden weniger, die Endlichkeit rückt in den Vordergrund. Und so sortiert Erna ihr Leben – ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Sie nimmt Abschied.

Wem das gelingt, der erlebt Endlichkeit als befreiend. Mich berührt dieser Gedanke. Es gibt so vieles was auch ich nicht oder nicht mehr muss. Auch ich werde älter, ja auch meine Möglichkeiten werden weniger. Aber ist das eine Beschränkung? Oder kann es nicht auch eine Befreiung sein? Nicht mehr alles können, nicht mehr alles müssen – klingt eigentlich gut. Und: neu sortieren, das auch. Überlegen was wirklich wichtig ist. Und diese Dinge nicht mehr verschieben: Zeit haben und sich nehmen. Denn Zeit ist wertvoll – das versteht man, wenn man sich mit der Endlichkeit beschäftigt. Erna hilft es das zu sortieren, was sie mit dieser Zeit noch machen möchte. Abschiedlich leben. Ich glaube das tut nicht nur am Ende des Lebens gut. Ich jedenfalls will mir das Gefühl bewahren, das ich in Ernas Gegenwart spüre. Dieses Gefühl von der befreienden Endlichkeit. 

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