SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

28JUL2021
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Eine Freundin von mir ist aufgeregt. Sie ist Mutter, und jemand hat sie „Glucke“ genannt. „Wie klingt das denn? So als würde ich meine Kinder total bemuttern und einschränken. Das stimmt doch gar nicht!“

„Jetzt reg Dich bitte nicht so auf“, habe ich versucht, sie zu beruhigen. „Das war doch als Kompliment gemeint!“ Darüber hat sich meine Freundin erst recht aufgeregt. Sie meinte, vergackeiern könne sie sich auch alleine

„Ich erkläre es dir“, habe ich geantwortet und ihr erzählt, warum ich das als Kompliment sehe: Hühner sind sehr fürsorglich gegenüber ihrem Nachwuchs. Wenn eine Henne sich um ihre Küken kümmert, so ist sie ganz und gar wachsam und behutsam.

Ist Gefahr in Verzug, so nimmt die Henne ihre Küken im wahrsten Sinne des Wortes unter ihre Fittiche. Das sieht dann so aus, dass sie ihre Flügel sanft über den Küken ausbreitet und die Kleinen darunter versteckt. Und manchmal guckt dann schelmisch zwischen dem Federkleid ein kleines, neugieriges Köpfchen heraus. Das Küken ist beschützt und dennoch frei, sich selbst ein Bild von der Situation zu machen, die Gefahr kennenzulernen, zu erfahren, wann das Leben bedroht ist.

„Gott breitet seine Schwingen aus über dir. Unter seinen Flügeln findest du Zuflucht.“ So heißt es in der Bibel, in Psalm 91. Wenn ich an die Henne und an ihre Küken denke, dann weiß ich ganz genau, was der Psalmbeter meint. Gott sorgt sich um mich und möchte mich vor den Gefahren bewahren. Er nimmt mich unter seine Flügel, damit ich behutsam das Leben entdecken kann. Aber er schenkt mir auch die Freiheit, unter seinen Fittichen hervorzukommen, auf eigenen Füßen das Leben zu entdecken. So wie das Küken durch die Federn der Henne herausspitzt und neugierig guckt, was das so kommt, so darf auch ich unter den Fittichen Gottes herausschauen.

So kann ich behutsam immer wieder das Leben neu entdecken. Egal wie alt ich bin. Denn es gibt immer wieder unbekannte Situationen in meinem Leben. Aber ich habe erfahren, dass es einen Ort gibt, an dem ich sicher und geborgen bin.

„Also, wenn das so ist,“ hat meine Freundin lächelnd gesagt, „dann bin gerne eine Glucke.“

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