SWR2 Wort zum Tag

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26JUL2021
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Das älteste lebende Tier der Erde ist wahrscheinlich eine Seychellen-Riesenschildkröte namens Jonathan. Jonathan ist etwa 190 Jahre alt und lebt auf der Insel St. Helena. Er wurde 1882 im Alter von mindestens 50 Jahren von den Seychellen verschleppt und befindet sich – so Wikipedia – im Besitz der Regierung von St. Helena. Wobei ich den Begriff „Besitz“ bei dieser Schildkröte schon recht amüsant finde. Denn Jonathan kann inzwischen auf eine ganze Reihe „Besitzer“ zurückblicken, die er alle überlebt hat.

Vom Indischen Ozean einmal um halb Afrika herum bis in den Südatlantik – allein schon dieses Abenteuer dürfte die Resilienzfähigkeit von Jonathan gestärkt haben. Wer das überlebt, der schafft auch den Rest. Seit 1882 hat Jonathan zwei Weltkriege er- und überlebt, von unzähligen kleineren Krisen ganz zu schweigen. Könnte er erzählen, wir würden erfahren, was ihm geholfen hat, sein langes Leben zu meistern. Das wäre womöglich anregend im Blick auf das, was uns Menschen hilft, Krisen zu meistern und zu überstehen. Ich könnte mir bei Jonathan den Leitspruch vorstellen: In der Ruhe liegt die Kraft. Oder auch: Eins nach dem anderen.

Auf der Suche nach hilfreichen Leitsprüchen und Ritualen in der Krise werde ich auch bei den Ritualen der Kirche und in Texten der Bibel fündig. Keine Frage: Es ist der Kirche leider zunehmend schwergefallen, diesen Schatz an Ritualen und Texten in die späte Moderne zu übertragen. Das ändert aber nichts daran, dass es hochwirksame Resilienzfaktoren sind. Die Resilienzforschung bestätigt, dass Menschen in Krisen einen guten Rhythmus für ihr Leben finden sollten. Ich erlebe z.B. das Kirchenjahr so: Es übt einen heilsamen Lebensrhythmus ein. Und auch in der Bibel gibt es einen reichen Fundus an Texten, die zu einer guten Organisation des Lebens anregen. Etwa im Buch Kohelet das wunderbare Gedicht: „Alles hat seine Zeit“, das die rhythmische Organisation des Lebens einübt.

Das Kirchenjahr regt mich übrigens auch dazu an, meine eigene Begrenztheit zu akzeptieren. Jede und jeder von uns wird einmal sterben. Ich glaube daran, dass wir auch dann nicht aus Gottes Hand fallen. Das hilft mir, das Leben auch in Pandemiezeiten mit einer humorvollen Distanz wahrzunehmen. Tod-Ernst ist unser Leben nicht. Und Humor, ganz klar, ist ein ganz wichtiger Resilienzfaktor. Wenn Sie einmal die Riesenschildkröte Jonathan googeln und sich ein Foto von ihr anschauen: Finden Sie nicht auch, dass um Jonathans Lippen ein amüsiertes Lächeln spielt?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33579
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