SWR3 Gedanken

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21JUL2021
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Doris Reisinger war Ordensschwester in einem katholischen Orden und dort hat sie sexualisierte Gewalt erleben müssen. Sie sagt: „Es gibt nicht nur sexuellen Missbrauch, sondern auch spirituellen Missbrauch.“ Ein Vorgesetzter in ihrem Orden hat ihr eingeredet, dass es Gottes Wille sei, dass er sie missbraucht. Doris Reisinger hat sich aus dem System, was sie so unterdrückt hat, freigekämpft und über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben. Sie meint, spiritueller Missbrauch passiert immer da, wo Menschen behaupten, dass das, was sie sagen, absolute Autorität hat, also sozusagen direkt von Gott kommt. Das kann innerhalb von Kirche sein, wie bei Doris Reisinger, aber auch in einer Beziehung zum Beispiel. Wenn einer immer unhinterfragt recht hat und der andere nie sagen kann, was er eigentlich meint und was er braucht. Irgendwann glaubt die Person wirklich, dass sie gar kein Recht hat, ihre Bedürfnisse zu äußern. Und dann wird es gefährlich, weil die eine Person immer mehr Macht über die andere gewinnt.

Die Geschichte von Doris Reisinger hat mir klargemacht: wenn jemand behauptet, sie oder er weiß haargenau, was Gott möchte, und was deshalb zu tun ist, dann stimmt etwas nicht. Dann wird Gott festgenagelt, festgelegt und dadurch klein gemacht. So als ob ich Gott quasi für mich allein pachten kann. Das kann nicht funktionieren.

Egal ob in der Kirche, in der Familie oder im Job: niemand besitzt die Wahrheit für sich allein und jeder Mensch hat seine eigene, begrenzte Sicht auf alles. Das ist typisch menschlich und wenn ich das begriffen hab und nicht vergesse, dann kann ich auch damit umgehen. Und dann ist das gut so.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33556
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