SWR2 Wort zum Tag

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22JUL2021
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Vor 70 Jahren ist ein besonders origineller Denker gestorben. Sein ganzes Leben lang hat sich dieser Ludwig Wittgenstein mit etwas vom Geheimnisvollsten beschäftigt, was wir Menschen haben – der Sprache. Er selbst lernte das Sprechen erst mit vier Jahren. Vielleicht konnte er es anders in der schwierigen Familie, in der er aufgewachsen ist, nicht aushalten. Die Eltern waren völlig mit sich beschäftigt, die Kinder spürten nichts von wirklicher Liebe. Wie also sich verständlich machen, wem sich mitteilen? Das wurde Wittgensteins Lebensthema. Sprache ist Leben, wie also zur Sprache kommen und sich Gehör verschaffen? Das sind nicht nur theoretische Fragen, es geht ja um Beziehungen und Freundschaften, es geht ums Ganze. Wittgenstein, war ein Gottsucher. Wie haben wir Kontakt mit ihm, und was könnte das heißen: miteinander sprechen?

In Wittgensteins letzten Aufzeichnungen findet sich ein Satz, der es in sich hat: „Gott kannst du nicht mit einem anderen reden hören, sondern nur wenn du der Angeredete bist.“ In der Tat, entscheidend ist die Frage, was oder wer mich anspricht. Wovon bin und werde ich angesprochen? Das sagt mir nichts, das lässt mich kalt – ist das eine Extrem. Das andere: ich bin fasziniert und hingerissen, das spricht mich an oder die oder der. Man könnte etwas steil zusammenfassen: der Mensch ist das Wesen, das sich angesprochen weiß und in besonderer Weise zuhören kann. Wir brauchen z.B. Mitmenschen, von denen wir uns etwas sagen lassen. Wir geraten in Resonanz und können antworten.

Der getaufte Wittgenstein ist davon überzeugt, dass es in der Vielfalt dessen, was uns anspricht, eine Stimme gibt, die den Namen Gott verdient. Und die hat intimst mit mir selbst zu tun. Ist es die Stimme des Gewissens, sind es Vernunft und Gefühl? Ist es der Lockruf zum eigenen Leben?  Beten ist nicht zuerst, dass wir aktiv und bestimmte fromme Worte sprechen! Beten heißt hineinhören in die Mitte des eigenen Lebens: wozu bin ich da, was will ich, was kann ich, was soll ich. Je tiefer wir hineinhören, desto mehr kann es geschehen: wir sehen uns höchst persönlich angeredet und gewürdigt. „Gott kannst du nicht mit einem anderen reden hören, sondern nur, wenn Du der Angeredete bist.“

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