Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24JUL2021
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Als „Radio-Pfarrer“ bekomme ich manchmal E-Mails, bei denen fehlen mir schlicht die Worte. Da schreiben mir Menschen, die sich über eine einzelne Aussage oder Meinung geärgert haben – und nun sofort über mich urteilen und mir sagen, was sie grundsätzlich von mir halten. Dabei sind wir uns noch nie begegnet, kennen uns gar nicht persönlich. Oft habe ich den Eindruck, dass ganz viel anderer Frust gleich mit abgeladen wird – über „die Kirche“, „die da oben“ oder die Welt im Allgemeinen. Allein die Wortwahl spricht oft schon Bände.

Ich habe gelernt, das nicht persönlich zu nehmen. Und normalerweise antworte ich auch gar nicht auf solche E-Mails, weil ein vernünftiger Austausch ja gar nicht erwünscht zu sein scheint.

Neulich habe ich es aber doch gemacht. Als sich gleich mehrere Hörer auf einen bestimmten Beitrag gemeldet haben, habe ich ihnen zurückgeschrieben. Ich wollte klarmachen, dass man sich über meine Auffassung und Meinung natürlich aufregen darf – es ist ja auch gut, wenn Kritik direkt geäußert wird. Aber persönlich beleidigend sollte es nicht werden. Mit manchen Formulierungen schießt man übers Ziel hinaus.

„Ich finde es gut, dass Sie zu Ihrem Ärger stehen“, habe ich angefangen. Und dann kurz meine Sicht der Dinge begründet. Ohne groß was zu erwarten.

Auf manche E-Mails kam dann auch keine Rückmeldung mehr. Einige Schreiber haben sich gemeldet und dabei gleich nochmal nachgelegt. Aber – was mich überrascht hat: Gleich mehrere Antworten haben sehr versöhnlich geklungen. Nicht mehr von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Und ich hatte den Eindruck, dass da Leute ins Nachdenken gekommen sind – auch über den Stil ihrer ersten Reaktion. „Ich grüße Sie und hoffe, Sie sind mir nicht böse“, hat jemand geschrieben. Und jemand anderes hat gemeint: „Danke für Ihre Rückmeldung. Damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.“

Mir hat das gezeigt: Es kann sich lohnen, einen Kontakt nicht gleich aufzugeben oder abzubrechen – sondern nochmal eine zweite Chance zu geben. Womöglich gilt das nicht nur für E-Mails, sondern auch ganz allgemein im Leben. Nach einer schwierigen ersten Begegnung kann es trotzdem gut weitergehen. Manchmal wird dann doch noch etwas möglich. Und sei es, dass man sich ein bisschen besser kennenlernt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33537
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