SWR2 Wort zum Tag

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„Ich hab’s am Kreuz“, sagt stöhnend der Nachbar. „Ich spür’s nach langem Sitzen, und dann beim Bücken“. Ja, das Kreuz ist uns auf den Leib geschrieben. Genauer: Es trägt unseren Leib, es richtet ihn aus: Die Waagrechte der ausgestreckten Arme, die Senkrechte im aufgerichteten Stehen. Wirbelsäule und Kreuzbein – welch bezeichnende Worte! Die vier Himmelsrichtungen ergeben ein Kreuz, die vier Elemente – die ganze Welt steht in dieser Vierung.
In diesen Kartagen gilt es, Jesu Osterweg mitzugehen,: „Durch Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit“, wie es in alten Gebeten heißt. Beim Kreuz Jesu denkt man allzu schnell nur an Folter und Martyrium, an die Passion – weiß Gott, schlimm genug. Damals die schändlichste Art der Hinrichtung, besonders quälerisch und brutal. Aber Passion heißt beides: Leiden und Leidenschaft.
Deswegen ist das Kreuz nicht nur ein Todeszeichen, sondern auch und viel mehr ein Lebenszeichen. Das Kreuz ist Leidenschaft pur für die ganze vierfaltige Wirklichkeit. „Ich hab’s am Kreuz“, das heißt: Ich bin am Leben, selbst im Schmerz noch, ich stehe in den Spannungen des realen Daseins. „Ich bin gespannt“ – so sagen wir, wenn Freude ins Haus steht und Leidenschaft ihr Ziel sucht. Dieses schöpferische Hineingespanntsein in die Herausforderungen des Lebens – das will mitgespürt sein. Diese uralte Lebenssymbolik des Kreuzes kannten die Christen früherer Zeiten noch: In den Glasfenstern der Kathedralen wird das Kreuz Jesu oft grün gemalt, Farbe der Hoffnung und des Lebens. Das Kreuz Jesu nicht als Folterinstrument, sondern als Lebensbaum. Christen verehren ihn als den göttlichen Weggefährten, der sich ganz einspannen lässt von den Freuden und Nöten der Jetztzeit. Gewiss, gewiss: Gewalt und Gegengewalt gehören immer noch dazu, egoistische Gemeinheit und böses Rivalisieren. Doch Schmerz und Leid werden von Jesus mitgetragen, fast hätte ich gesagt: ausgetragen. Im Lichte von Ostern zeigt sich: es geht ums Leben, ums Über-Leben. Sich alltäglich einspannen lassen - das bringt gewiss auch Schmerz, aber zugunsten des Lebens. Wirklich gespannt sein - welch ein Abenteuer! Ob wir dem Geheimnis des Kreuzes auch am eigenen Leib schon genauer nachspüren „Ich hab’s am Kreuz“ – dieser Satz verbindet uns mehr mit dem Weg Jesu, als wir oft ahnen. Im Evangelium steht sogar: „Wer nicht täglich sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert“.

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