SWR4 Abendgedanken

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16JUL2021
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„Ich hab wieder was! Ich hab wieder was!“ Die Begeisterung war groß. Ich stand, ganz zufällig, mitten in einem Haufen Kindergartenkinder. Sie hatten Plastikhandschuhe an und Eimer dabei. Und ein Junge zeigte seiner Erzieherin stolz, was er gefunden hatte: Einen Schnipsel Folie, abgerissen von der Verpackung eines Schokoriegels vielleicht. Stolz packte er es in die Mülltüte, die die Erzieherin ihm hinhielt. Darin waren schon weitere Plastikverpackungen, Zigarettenstummel, eine Bierflasche und mehrere FFP-2-Masken. Die Erzieherin lobte. Alle freuten sich. Und weiter ging es, den kleinen Weg entlang Richtung Spielplatz.

Kindergartenkinder als Müllsammler.  Mich hat das seltsam berührt: Warum sollen die Kleinsten den Wohlstandmüll von uns Großen aufsammeln müssen? Das ist unappetitlich. Und irgendwie auch herabwürdigend.

In einem Buch vom Jugendbuchautor John Green habe ich einen Satz gelesen, der sich mir eingeprägt hat. Er schreibt: Wir Menschen leben „in einer Welt, in der wir zwar die Macht besitzen, den ganzen Planeten aufzuheizen, aber nicht imstande sind, die Erwärmung aufzuhalten.“[1] Und er hat Recht: Es gibt so viele festgefahrene Strukturen. Es gibt globalisierte Prozesse und Abläufe, die wir kaum durchschauen. Und Marktgesetze, gegen die wir – offenbar – nicht ankommen. Wie deprimierend. Was hilft es da, wenn ein paar Kinder Müll aufsammeln?

Aber dann habe ich mich an die Gesichter der Kinder erinnert: Sie waren voller Stolz. Sie hüpften und hatten Spaß. Und zwar bestimmt nicht, weil Müll sammeln so was Schönes ist. Nein, sondern weil sie wussten: Wir tun was Gutes! Wir helfen! Auch wir Kleinen können unseren Beitrag leisten, wenn die Großen schon zu doof sind.

Und da ist mir ein Satz des Theologen Fulbert Steffensky eingefallen: „Hoffen heißt handeln, als wäre Rettung möglich.“[2] Und ich glaube, auch er hat Recht. Erst wenn wir hoffnungslos aufgeben, ist alles verloren. Hoffend handeln. Das macht Rettung möglich. Das haben mir die kleinen, tapferen Müllsammler gezeigt.

Es gibt ein Kinderlied, das geht so: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern. Können nur zusammen das Leben bestehen“ (Neue Lieder, Nr. 85). Das hätte ich den Kindergartenkindern, als sie mir begegneten, gern vorgesungen. Aber das habe ich mich natürlich nicht getraut.

Wissen Sie, wie das Lied weitergeht? „Gottes Segen soll sie begleiten, wenn sie ihre Wege gehen.“ Genau das wünsche ich den Kindern. Dass sie nie die Hoffnung verlieren. Und sich von Gott gesegnet wissen. Auch noch, wenn sie groß sind.

Und uns Großen wünsche ich das auch.

 

[1] Aus: John Green, Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen? Notizen zum Leben auf der Erde, Hanser Verlag 2021, S. 31.

[2] Zitiert nach dem Artikel „Da draußen“ von Heike Faller im „Zeitmagazin“, S.6. (Genaues Erscheinungsdatum leider nicht mehr auffindbar.)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33508
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