SWR2 Wort zum Tag

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14JUL2021
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Als Schüler habe ich immer wieder geübt, die Unterschrift meines Vaters nachzumachen. Eingesetzt zu meinen Gunsten hab‘ ich sie nie. Die Ungeheuerlichkeit dieser Tat ist mir immer klar vor Augen gestanden. Vor kurzem bin ich zufällig auf das Lied „Zeugnistag“ von Reinhard Mey gestoßen. In diesem Lied geht es um einen Schüler, der sich genau das traut. Unter sein Zeugnis setzt er die gefälschte Unterschrift seiner Eltern.

Ein glatter Betrug – keine Frage! Der Rektor lädt die Eltern ein und konfrontiert sie mit der gefälschten Unterschrift. Was tun die Eltern? Beide bestätigen sie deren Echtheit. „Ohne Zweifel“ wie sie sagen. Der Schüler weiß schon, was davon zu halten ist: „Ich weiß nicht, ob es rechtens war, dass meine Eltern mich da rausholten.“ Das Lied will keine Anleitung sein, dieses Verhalten nachzuahmen. Es ist gesungen aus der Perspektive eines Zwölfjährigen, der die Erfahrung macht: „Meine Eltern lassen mich nicht fallen!“ Im Lied heißt der entscheidende Satz: „Wie gut tut es zu wissen, dass dir jemand Zuflucht gibt!“

Ich weiß nicht, ob sich die Geschichte so zugetragen hat. Aber in der Bestätigung der Eltern verbirgt sich so etwas wie eine barmherzige Korrektur ihrer Schroffheit, vor der der Junge so Angst hatte. Vorbildlich ist am Verhalten der Eltern, dass sie die Liebe zu ihrem Kind durchhalten, trotz seines Fehlverhaltens. Der Weg, den sie wählen, ist dagegen keiner, der Anspruch auf Wiederholbarkeit erheben kann.

Interessant finde ich, dass Jesus in einem Gleichnis auch einen solchen Weg wählt. Einem Gutsverwalter wird gekündigt, weil er schlecht arbeitet. Bevor er seinen Arbeitsplatz verlässt, rät er den Kunden seines Chefs, in ihren Schuldscheinen den Betrag zu ihren Gunsten zu fälschen. Wenn ich erst einmal nichts zum Leben habe, unterstützen sie mich vielleicht, denkt er. Jesus lobt das Beispiel dieses entlassenen Verwalters. Und lobt damit eigentlich einen Betrüger. Aber nicht der Betrug ist Anlass des Lobes. Vielmehr die Weitsicht und die Vorsorge für die Zukunft.  

Irgendwie ist das Lied von Reinhard Mey also auch eine Art Gleichnis. Ein Werbe-Gleichnis, die eigene Liebe durchzuhalten, in diesem Fall die von Eltern zu ihrem Kind. Aber der erste Blick auf den einzelnen Menschen bleibt immer der der Liebe. Bei Gott ist das so. Und es ist auch für mich immer neu den Versuch wert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33494
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