SWR2 Wort zum Tag

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12JUL2021
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Da stoßen in meinem Arbeitszimmer schon zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite der Computer auf meinem Schreibtisch. Gegenüber auf einer Staffelei zwei Seiten einer alten deutschsprachigen Bibel. Wunderschön gestaltet. Mit Initialen. Mit einem farbigen Bild. Mit rankenden Blättern um den Text herum. Alles mit Blattgold verziert. Es sind die Kopien von zwei Seiten aus der sogenannten Wenzelsbibel. Sie ist für den böhmischen König Wenzel IV. um 1400 geschrieben und verziert worden.

In den letzten Monaten hat sie ein wenig Karriere gemacht. Ist Menschen ins Auge gesprungen. Sie steht etwas versetzt in meinem Arbeitszimmer in meinem Rücken. Bei jeder Video-Konferenz ist sie bestens zu erkennen für die Menschen, die sie auf ihrem Bildschirm hinter mir sehen können. Ganz häufig hat mich jemand gefragt, was da für ein schönes Kunstwerk hinter mir zu bestaunen ist. Zwei Seiten der Bibel, so schön, so liebevoll fürs Auge komponiert, dass sie Menschen ins Auge fallen.

Auch wenn’s die Bibel längst auch digital gibt oder als App auf dem Handy – für mich ist sie ein analoges Buch. Etwas zum Anfassen. Zum Blättern. Schön aufgemacht. Weil es in ihr auch um die Schönheit geht. Um die Schönheit der Erde. Um die Schönheit des Menschen. Auch um die Schönheit Gottes. In der Bibel wird diese Schönheit Gottes immer wieder betont. „Schön bist du, mein Gott, und prächtig geschmückt.“ (Psalm 104,1). Die alten Bibelhandschriften sollten in ihrer Pracht und mit ihren kunstfertigen Verzierungen etwas von dieser Schönheit Gottes abbilden.  Die Schönheit, die menschliche Kunst zustande bringt, die Schönheit des Menschen selber, ist deshalb eine Art Spiegel für die Schönheit Gottes.

Diese Botschaft sendet für mich auch diese alte Bibelhandschrift. Die, die sie übersetzt und ihren Text in schönen Buchstaben gemalt haben, sie haben sich diese Schönheit übrigens auch etwas kosten lassen. Sie haben Künstler damit beauftragt. Haben teures Blattgold für die Ausgestaltung verwendet. Sie wollten, dass Gottes Schönheit ins Auge sticht. Sogar in diesen Buchseiten. Die Reaktionen der Menschen, die mir im digitalen Treffen gegenübersitzen, beweisen: Der Plan der Menschen vor mehr als 600 Jahren ist aufgegangen. Ihre liebevolle Kunst erweist sich bis heute als Hinweis auf die Schönheit Gottes. Ich bin dankbar, immer wieder auf Spiegel dieser Schönheit zu stoßen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33492
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