Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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07JUL2021
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Alle Menschen sind behindert, nur manche haben keine Diagnose. Dieser Satz hat mich stutzig gemacht. In einem Interview hörte ich das, mit der Schriftstellerin Sandra Roth. Erst dachte ich, so ist es ja doch nicht ganz. Aber je mehr ich nachdenke, desto einleuchtender scheint es mir. Im Laufe des Lebens entwickelt doch jeder Mensch etwas, was man als Behinderung erleben kann.  Und wir alle sind sterblich, auch eine Art Behinderung.  Der eine braucht mal eine Brille, die andere hat Rückenschmerzen, manche haben vieles auf einmal, und ein paar von uns haben angeborene Behinderungen, so wie die Tochter Lotta von Sandra Roth. Aber selbst wenn ich mir meiner Einschränkungen bewusst bin - vielleicht muss ich mich damit nicht nur schlecht fühlen. Vielleicht ist es möglich, mehr auf einander zu achten und so miteinander zu leben, dass das Leben mit Einschränkungen leichter wird. Zum Beispiel: Wenn alle laut sprechen und nicht alle durcheinander, fühlt sich mancher Schwerhörige besser. Wenn nicht alles übertrieben kleingedruckt ist, muss ich meine Augen nicht verfluchen. Wenn ich alt bin und ich nicht alleingelassen werde mit meinen Bedürfnissen, fühlt sich Altsein weniger schlecht an. Und wenn Menschen tolerant und Türen breit und Rampen vorhanden sind, würde es manchem sogenannten Behinderten sehr viel besser gehen.  Alle Menschen sind behindert, nur manche haben keine Diagnose. Viel hat sich schon verändert, aber der Satz von Sandra Roth erinnert mich: Behinderte behindern sich nicht selber, sondern werden behindert, oft genug auch von mir. Weil ich mir oft nicht vorstelle, was mein Gegenüber gerade braucht. Aber da kann man viel voneinander lernen. Einer trage des Anderen Last. So sagt es die Bibel. Oder das Sprichwort: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Dann ist Inklusion kein schickes Wort, sondern gelebtes Zusammenhalten.

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