Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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05JUL2021
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Was erzähle ich wohl mal meinen Enkeln? Wenn ich welche hätte. Das frage ich mich manchmal. Ich denke an meine Oma. Die hatte drei Arten von Geschichten auf Lager. Zum einen als Zeitzeugin. Da hat sie vom Krieg erzählt und der Nachkriegszeit, über Bedrohung und Entbehrung. Als Witwe damals alleinerziehend und arm. Subjektiv - aber erlebte Geschichte. Dann gab es auch noch ganz persönliche Geschichten. Die auch zu anderen Zeiten hätten spielen können. Und das dritte waren Bibelgeschichten. Die erzählte sie besonders gerne und mit leuchtenden Augen. So habe ich diese Geschichten kennengelernt – und weil meine Oma gut erzählen konnte, wurden die Geschichten ganz lebendig. Eine Geschichte aus der Bibel hat sie besonders gerne erzählt. Das war die Geschichte vom verlorenen Schaf. Und die geht so: Da ist ein Hirte mit 100 Schafen, genau 100. Er gibt den Schafen Gras und Wasser und kennt und liebt jedes einzelne Schaf. Er zählt sie jeden Tag. Aber eines Tages, da waren nur noch 99 Schafe da. Ein Schaf ist verloren! Er ist untröstlich, wo ist es? Und dann verlässt er die 99 Schafe, macht sich auf ins Ungewissen, um das eine verlorene zu suchen. Er findet es – und ist überglücklich! Der Hirte steht für Gott, dem jeder Mensch wichtig ist und der jeden liebt und sucht.

Im Nachhinein habe ich oft gedacht: eigentlich hat meine Oma da eine Geschichte von sich selber erzählt. Denn ich glaube: sie kannte das Gefühl sehr gut. Das Gefühl, ganz verloren zu sein. Allein mit allen Aufgaben und Fragen. Aber sie kannte auch das Gefühl, wiedergefunden zu werden von Gott. Von ihr habe ich gelernt: Gott gibt nicht auf, uns zu suchen, zu ermutigen. Und wie meine Oma will ich auch nicht aufgeben, ihm zu vertrauen. Auch da, wo ich mal auf mich gestellt, überfordert oder traurig bin. Von meiner Oma weiß ich: Ich muss mich dabei nicht mal besser anstellen als ein Schaf: eigensinnig vielleicht und oft genug auf Irrwegen unterwegs, aber doch ganz gut aufgehoben bei dem, den ich den guten Hirten nenne. Kein alter Hut, diese Omageschichte, sondern lebendig und wahr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33462
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