SWR2 Wort zum Tag

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08JUL2021
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Leben wir noch in einer Demokratie? – Diese Frage höre ich in letzter Zeit oft. Und die, die so fragen, wollen damit sagen, dass wir nicht mehr in einer Demokratie leben. Dass ich das in letzter Zeit immer öfter höre, macht mir Sorgen. Die Corona-Regeln als Schikane der Regierung, die uns bevormundet.  Ich kann ja verstehen, dass die Einschränkungen vielen schwer fallen. Mir auch. Aber gerade weil ich einer Demokratie lebe, sehe ich ein, dass es nicht nur danach geht, was mir persönlich gut oder wehtut. Das wäre egoistisch. In einer Demokratie geht es um das Wohl aller, um das Gemeinwohl. Und da muss ich meine persönlichen Interessen und mein Wohlbefinden hinten anstellen, wenn es zum Nutzen der großen Mehrheit ist. Oder auch, wenn es darum geht, die Schwächsten zu schützen. Bei den Corona-Regeln geht es ja genau darum, dass wir alle in unserem Land zusammenhalten und die Schwächsten schützen, die Älteren und die, die am schnellsten schwer krank werden würden. Inzwischen wird immer klarer: Der Preis dafür war für manche wirklich hoch. Ich denke an die Kinder und Jugendlichen, die auf Schule, Treffen mit Freunden und viele Freiheiten verzichten mussten. Viele von ihnen haben mitgemacht, weil sie wussten, dass sie so auch ihre eigenen Großeltern schützen können. Der Preis, dass ich auf persönliche Annehmlichkeiten und Freiheit verzichte, weil es der Gesamtheit nützt, ist hoch. Aber er ist es wert. Wenn ich als Christ meinen Nächsten lieben soll, dann geht es dabei ja um Werte wie die Menschenwürde. Diese Werte sind auch in unserer demokratischen Ordnung grundlegend.

Und auch in diesen Zeiten, wo ich auf so manches verzichtet habe, habe ich doch nicht darauf verzichten müssen, was eine Demokratie ausmacht: Ich habe an Wahlen teilgenommen und mit meiner Stimme mitentschieden, wer mich in Zukunft regiert. Ich habe eine politische Diskussion erlebt, in der wirklich gestritten wurde darum, was in der Corona-Pandemie das Beste für alle ist. Und ich habe mich in der Presse über die unterschiedlichen und gegensätzlichen Meinungen dazu informieren können und erlebt, wie Politiker aufgeflogen sind, die aus Corona ein Geschäft machen wollten. Ich kann meine Meinung frei sagen, ohne dass ich irgendwelche Strafen oder Einschränkungen befürchten muss. Das können sogar auch die, die meinen, dass wir nicht in einer Demokratie leben.

Manchmal finde ich es anstrengend und es kostet mich Kraft, das alles mitzuverfolgen und meine eigene Meinung zu bilden. Aber genau das ist ein Zeichen, an dem ich merke, dass ich als freier und mündiger Mensch in einer Demokratie lebe. Und das finde ich gut und richtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33452
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