SWR3 Gedanken

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04JUL2021
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Im Schweizer St. Gallen ist gestern eine abgefahrene Aktion zu Ende gegangen: Jeweils eine Woche lang hat sich eine Freiwillige oder ein Freiwilliger einsperren lassen in eine kleine Holzhütte neben einer Kirche. Im Mittelalter war das so etwas wie ein religiöser Extremsport: sich einsperren lassen, um ganz bei sich selbst und ganz bei Gott zu sein.

Das hat mich neugierig gemacht, und so bin mit dem Motorrad hingefahren. Etwas steif von der Fahrt stakse ich also um das Kirchlein. Ich entdecke den grob gezimmerten Anbau und klopfe vorsichtig an ein kleines Fenster. Ein Mann schaut raus und stellt sich als Christian vor. Er begrüßt mich mit einem freundlichen „Grüezi“ und wir kommen richtig gut ins Gespräch. Ich frage ihn, ob er sich einsam fühlt. Er lacht. „Nachts hört man durch die dünne Wand die Jugendlichen, die hier im Park trinken, kiffen und grölen. Und tagsüber klopfen so viele Menschen ans Fenster, die ein Anliegen haben.“ Christian erklärt, dass er die Anliegen aufschreibt und später ins Abendgebet einfließen lässt.

Ich frage, ob er denn vor lauter Gewusel und Fürbitten auch Zeit für sich selbst und Gott findet. Christian wird nachdenklich und sagt: „Ich begegne Gott anders, als ich es gedacht hätte. Nicht indem ich mich zurückziehe, sondern mitten im Betrieb der Stadt, mitten in den Gesprächen und Fürbitten. Ich bin ganz bei den vielen Menschen, die hier anklopfen. Und da ist für mich auch Gott zu finden.“

Wir quatschen bestimmt eine halbe Stunde, und am Schluss verrät mir Christian, dass er auch Motorradfahrer ist. Ziemlich geflasht trete ich die Heimfahrt an. Und während ich durch´s Hinterland des Bodensees kurve, muss ich immer wieder an einen Satz von Christian denken: „Such Gott nicht zu weit weg, manchmal ist er näher als du denkst.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33445
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