SWR2 Wort zum Tag

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03JUL2021
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„Einer wird den Ball aus der Hand der furchtbar Spielenden nehmen.“ Nein, es geht hier nicht um den in diesen Tagen so lauten Fußball. Hier spricht eine sehr leise Stimme des Lebens. Und zugleich geht es in diesem Satz um etwas viel Größeres als Fußball. Um den Erdball als Ganzes, der zum Spielball von furchtbar Spielenden geworden ist. Aber: „Einer wird den Ball aus der Hand der furchtbar Spielenden nehmen.“

So beginnt ein Gedicht von Nelly Sachs. Leise, bittend, trotz allem wieder hoffend, visionär. So höre ich diesen Anfang.

Nelly Sachs war eine deutsche Dichterin jüdischen Glaubens. Aus dem Exil in Schweden hat sie versucht, ihre Stimme, die Stimme der Gedichte wieder hören zu lassen. Wie sie finde ich: Es wäre ein furchtbarer Verlust, wenn sie nicht mehr gehört würde: Die Stimme von Poesie und Gedichten. Diese zarten Gewebe aus Worten, die nicht auftrumpfen, sondern leise um unsere Aufmerksamkeit bitten. Gedichte, für die man Zeit braucht, weil sie nicht laut mit der Verständnistür ins Haus fallen. Einem Gedicht muss man sich öffnen: seinen Geist und sein Herz, sein Leben.

„Einer wird den Ball aus der Hand der furchtbar Spielenden nehmen.“ Wenn ich mich diesem Satz öffne, öffne ich mich auch G_TT. ER ist der Eine. Nahezu unglaublich, dass eine jüdische Stimme wenige Jahre nach der Shoah so sprechen konnte. Andere konnten das nicht mehr. Manche hielten Nelly Sachs darum schon damals für „aus der Zeit gefallen, altmodisch“. Ich glaube eher, Stimmen wie ihre dürfen nicht verstummen.

Denn ich frage: Ist diese Diagnose aus der Zeit gefallen, dass die Mächtigen furchtbar mit dem Erdball spielen? Und ich gehöre ja auch zu denen, die ihm mitspielen. Oder ist es aus der Zeit gefallen, wenn sie Hoffnung in ihrem Gedicht auf Frieden setzt:
„Hier ist Amen zu sagen
diese Krönung der Worte
die ins Verborgene zieht

und Frieden
du großes Augenlid das alle Unruhe
verschließt mit deinem himmlischen Wimpernkranz.
Du leiseste aller Geburten.“

Nelly Sachs bittet mich mit der leisen Stimme der Dichterin, Amen zu sagen zum Frieden. Also JA. Anstatt furchtbar mitzuspielen.

Ja, vielleicht können Sie und ich ja auch einer oder eine sein, die den furchtbar Spielenden den Ball aus der Hand nehmen. Zumindest hier und da. Und damit G_TT etwas zur Hand gehen. Es wird wohl nicht morgen gelingen, der Erde Frieden zu gönnen. Aber aufhören, selbst furchtbar zu spielen, das müsste gehen. Und stattdessen der Erde Frieden zu gönnen. Ich glaube, darum dürfen Stimmen wie diese von Nelly Sachs nicht verstummen.

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