SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

09JUL2021
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Ich mag laue Sommerabende. Heimkommen, Schuhe aus, Socken aus, Abendessen und dann einfach nur auf den Balkon sitzen und den Tag ausklingen lassen. Manchmal gemeinsam mit Freunden, manchmal aber auch fast alleine und in Ruhe. Ich mag es dann, einfach nur da zu sitzen, die Balkonpflanzen anzuschauen, auf das Wetter und die Abendstimmung zu achten und ab und zu kommt ein Vogel vorbei, der auf dem Balkongeländer eine Flugpause einlegt. In diesen Abendstunden schaffe ich es, Abstand zu bekommen von meiner Arbeit. Ich genieße dann einfach nur den Augenblick. Im Sommer fällt mir das viel leichter als zu den anderen Jahreszeiten. Die längeren Tage helfen mir dabei. Für mich ist das eine wichtige Form, meine Lebenszeit zu genießen. Gerade, weil sie durch keine Aufgabe, nicht mal durch Freizeitstress gefüllt ist. Aber es ist für mich auch eine Art Gebet ohne Worte. Ich meditiere quasi meinen Tag und bin ganz im Augenblick. Und für mich ist Gott immer mit dabei. Wie ein guter Freund, mit dem ich zusammensitze und mit dem ich schweigen kann. Weil wir beide es genießen, dass wir einfach nur zusammen sind.

Ich brauche solche Momente als Gegenpol zur Arbeit, die den Tag fast ohne Pause ausfüllt, wo ich Telefonate und Emails abarbeite und von einem Termin zum nächsten gehe. Beide Seiten des Lebens finde ich wichtig. Meine Arbeit in der Schule erfüllt mich. Sie gibt mir einen Lebenssinn und macht mich zufrieden. Aber Arbeit ist nicht alles. Mindestens genauso viel Zufriedenheit bekomme ich von diesen Abenden, an denen ich einfach nur dasitze und die Welt um mich herum betrachte.

Diese beiden Gegenpole erinnern mich an die beiden Schwestern Maria und Marta, von denen die Bibel erzählt. Jesus kommt zu ihnen als Gast nach Haus. Marta arbeitet, was sie kann, um ihn zu bewirten. Maria sitzt einfach nur bei ihm. Bis Marta sich bei Jesus beschwert, dass Maria nichts arbeitet, sondern nur bei ihm sitzt. Aber Jesus antwortet ihr nur, dass Maria den guten Teil erwählt hat. Ich glaube nicht, dass er sie damit gegeneinander ausspielen wollte. Vielleicht wollte er Marta nur auch zur Ruhe bringen bei dem Leistungsdruck unter den sie sich gesetzt hat. 

Ich finde beide Gegenpole wichtig: Dass ich arbeite, aber auch dass ich diese Momente erlebe, in denen ich dasitze und die Welt betrachte. Aber an diesen Sommerabenden wird mir immer wieder bewusst, wie wichtig mir diese betrachtende und ruhende Seite ist. Und ich nehme mir vor, dass sie abends einen Platz in meinem Tag bekommt, auch wenn der Sommer vorbeigeht: einfach zur Ruhe kommen, einfach dasitzen.

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