Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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02JUL2021
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Dieses Frühjahr ist in meiner Imkerei ziemlich anstrengend gewesen. Es war sehr lange kalt und hat viel geregnet. Für die Entwicklung der Bienenvölker waren es keine guten Bedingungen und der erste Teil der Honigernte fiel eher klein aus.

Einige meiner Bienenvölker stehen in Trier bei der Solawi. Solawi ist die Abkürzung für „Solidarische Landwirtschaft“. Dort haben sich Menschen zusammengeschlossen, die ein gemeinsames Ziel haben: Lebensmittel füreinander zu erzeugen und das in einem überschaubaren Rahmen.

Für mich als Imkerin gibt es ein Budget, das zu Beginn des Jahres festgelegt wird und unabhängig ist von der jeweiligen Erntemenge an Honig. Das bringt Planungssicherheit für mich, führt aber nicht dazu, dass ich mich auf meinen Lorbeeren ausruhe und mir die Ernte egal wäre. Ganz im Gegenteil. Gerade auf diesem Hintergrund habe ich den Anspruch, dass es den Bienen gut geht und es eine gute Ernte wird.

Während es in den bisherigen Jahren durchschnittlich ähnliche Mengen an Honig gab, ist es nun das erste Jahr, in dem für mich der Grundgedanke der Solawi – die Solidarität – greift. Es gibt zwar weniger Honig, aber das festgelegte Budget ist mir sicher.

Natürlich bin ich sehr froh darüber, merke aber auch, wie ungewohnt diese Erfahrung für mich ist. Und so habe ich durchaus auch ein schlechtes Gewissen, denn ich hätte gern mehr Honig geerntet, um ihn den Mitgliedern weiterzugeben. Aber die Wetterbedingungen und die Rücksicht auf das Wohl der Bienen lassen dies gerade nicht zu.

So ist die Solawi ein Beispiel für gelebte Solidarität. Oder christlich ausgedrückt: ein Beispiel für gelebte Nächstenliebe. Die Gruppe trägt gemeinsam das unternehmerische Risiko der Landwirtschaft. Dies erfahre ich gerade ganz konkret zum ersten Mal. Niemand schaut mich schief an, weil es vermutlich nur für ein kleines Honigglas in diesem Frühjahr reichen wird. Stattdessen erfahre ich trotzdem viel Wertschätzung für meine Arbeit. Es ist eine ungewohnte, aber eine wertvolle und bereichernde Erfahrung. Sie macht mich sehr dankbar. Und sie ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir durch schwierige Zeiten nur gemeinsam kommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33403
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