Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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01JUL2021
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An manchen Begriffen bleibe ich kleben. Momentan ist es das Wort: „zeitnah“. Seitdem ich darauf achte, habe ich den Eindruck, dass „zeitnah“ scheinbar die passende Antwort auf alle zeitlichen Fragen ist: ein Arbeitsauftrag wird zeitnah erledigt oder eine Paketsendung wird zeitnah geliefert.

Stutzig wurde ich, als ein Freund sagte, dass „zeitnah“ bei ihm heißen kann, dass er private Mails erst nach 8 Wochen checkt. Irgendwie hat der Begriff also eine gewisse Beliebigkeit. Denn es heißt nicht unbedingt, dass etwas sofort erledigt wird.

Ich glaube „zeitnah“ hat aber auch noch eine andere Perspektive. Ich finde, das Wort ist dadurch, dass es so unkonkret ist, besonders charmant. Ich verwende es dann nicht, weil ich den Eindruck vermitteln will, besonders emsig zu sein und ein Thema sofort zu erledigen, sondern ich benutze es, um auszudrücken: ich kümmere mich dann um eine Sache, – ein Thema, wenn für mich die Zeit dafür gekommen ist. Also im eigentlichen Wortsinn: wenn die Zeit dafür nah ist.

Denn manchen Dingen kann oder muss ich sogar Zeit lassen. Wenn ich zum Beispiel zeitnah mit einer Freundin über meine Ideen zu einer beruflichen Veränderung sprechen will, geht das oft gar nicht sofort, sondern ich warte auf den passenden Moment für sie und für mich. Dazu kann gehören, dass ich sie persönlich sehen will und wir ausreichend Zeit haben. Wenn ich nicht abwarte, endet ein solches Gespräch für uns beide oft unerfreulich, weil ich vielleicht nicht genug Zeit habe, um alles zu sagen. Es kann dann sein, dass ich mich unverstanden oder nicht ausreichend ernstgenommen fühle.

Dieses Abwarten des günstigen Moments heißt nicht, dass ich etwas vor mir herschiebe oder einem Thema aus dem Weg gehe. Ich warte einfach auf die passende Gelegenheit. Ist doch eigentlich genau so wie es in der Bibel steht: „Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ (Koh 3,1). Diese „bestimmte Zeit“ kann direkt und sofort sein oder zu einem späteren Zeitpunkt. Dieses Abwarten strapaziert oft meine Geduld, wenn ich zum Beispiel etwas besprechen will, worüber ich mich sehr geärgert habe, oder wenn ich einfach mal meine Begeisterung teilen möchte. Aber ich versuche, den passenden Augenblick abzuwarten. Dann ist es wahrscheinlicher, dass mein Tun gelingt und anderen und mir Freude bereitet.

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