SWR2 Wort zum Tag

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Karfreitag – Gott wird Mensch bis in den Tod. Nach den biblischen Texten stirbt Jesus mit einem verzweifelten Aufschrei: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die Evangelisten lassen erkennen, welch erschütterndes Drama sich an diesem Kreuz abspielt. Jesus von Nazareth, der den Menschen die Liebe Gottes nahegebracht hat wie kein anderer jemals; Jesus, der sich so innig mit seinem Gott verbunden wusste, dass er ihn Abba, lieber Papa nannte – dieser Jesus wird von seinen engsten Freunden verraten und verlassen, er wird – im Namen Gottes – als Gotteslästerer hingerichtet. Gott hat ihn verlassen. Jeder Halt ist verloren. Einsamer kann ein Mensch nicht sterben. Die Bibel sagt aber auch noch etwas anderes: Gott selbst, der Mensch geworden ist, begibt sich in Jesus hinein, in die Nacht eines, verzweifelten Sterbens, verlassen von Gott und den Menschen. Das heißt aber: Keine Verzweiflung und keine Gottverlassenheit kann so groß sein, als dass Gott nicht selbst mit dabei wäre. „Ich bin da“, ist sein Name. Und das heißt schließlich: Wo uns erniedrigte, verzweifelte Menschen begegnen, da begegnet uns der gekreuzigte Gott.
Mit Schwester Electa, einer Franziskanerin aus dem oberschwäbischen Kloster Sießen, war ich kürzlich im Township der südafrikanischen Großstadt Bloemfontein. Schwester Electa koordiniert dort die AIDS-Hilfe. In dieser Armensiedlung bin ich vielen Karfreitagssituationen begegnet. Da ist eine Familie, die in einer elenden Hütte seit sieben Jahren darauf wartet, dass sie in das benachbarte Steinhäuschen umziehen kann. Die Besitzer der Baufirma sind mit dem Geld durchgebrannt. Überall stehen Bauruinen herum. Da ist eine schwerst mehrfachbehinderte junge Frau. Ihre Mutter wurde wahrend der Schwangerschaft vergewaltigt und zusätzlich durch einen Messerstich schwer verletzt. Für ihre behinderte Tochter sorgt sie rührend und umsichtig. Der Vater hat sich aus dem Staub gemacht. Da ist ein AIDS-kranker junger Mann, dessen Mutter mit der Situation völlig überfordert ist. Wahrend sie sich Tag für Tag betrinkt, würde der junge Mann vollständig verwahrlosen, wäre da nicht Schwester Electa. Einen alleinstehenden, ebenfalls an AIDS erkrankten Mann, besucht sie regelmäßig und achtet darauf, dass er sein Elend nicht im Alkohol ertränkt. Schwester Electa liebt diese Menschen. Sie und ihre Helfer bringen Patienten in die Klinik, sorgen für Nahrung und Kleidung für die Kinder, organisieren Hilfen für den Haushalt, pflegen die Todkranken. Sie sind einfach da. Sie bezeugen so den Glauben, dass der menschgewordene Gott auch in der tiefsten Verzweiflung gegenwärtig ist und dass wir in diesen verzweifelten Menschen Gott begegnen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3339
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