SWR2 Wort zum Tag

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17JUN2021
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Jetzt ist wieder Zeit für Fußballfieber. Europameisterschaft. Warum ist Fußball so faszinierend? Der Kolumnist Harald Martenstein meint: Weil die Regeln so simpel sind, dass sie jeder verstehen kann. Das Runde muss ins Eckige. Damit hat Fußball eine hohe Integrationskraft. Ob man nun Soziologieprofessorin ist und darüber diskutiert, ob man noch von Milieus oder doch besser von Klassen sprechen sollte; ob man Fabrikdirektor ist oder arbeitslos, Schülerin, Bankbeamtin oder Rentner: Alle Milieus oder Klassen schauen Fußball. Oder spielen Fußball. Und verstehen die Regeln. Längst ehe die soziologische Diskussion zu einem Ergebnis gekommen ist, haben beim Fußball alle Spaß miteinander oder regen sich gemeinsam auf. Das ist gelebte Integration. Sollte es jedenfalls sein. Lange gab es in Sachen Diversität nämlich ziemlich Luft nach oben, und in Ordnung ist es leider immer noch nicht. Der Dokumentarfilm „Schwarzer Adler“ zeigt Gespräche mit schwarzen Fußballerinnen und Fußballern. Die Erfahrungen mit Rassismus, unter denen diese Menschen zu leiden hatten, waren für sie sehr schwer zu ertragen. Es waren beschämende Erfahrungen für die Sportlerinnen und Sportler, im Grunde sind sie aber beschämend für unsere Gesellschaft. Das tut mir richtig weh. Rassismus passt nicht zu meiner christlichen Lebenshaltung.

Es klingt so einfach: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, und offenbar ist es so schwer umzusetzen. Jedenfalls, wenn der Nächste eine andere Hautfarbe hat, oder eine andere Meinung, oder einer anderen Klasse oder einem anderen Milieu angehört. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dieses kleine Jesuswort ist ein Einspruch gegen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, gegen Rassismus, gegen soziale Ausgrenzung, gegen Generationenkonflikte. Es stellt sich quer, und manchmal frage ich mich, warum Menschen es immer noch weitergeben, wenn es doch an der Realität immer wieder zu scheitern scheint.

Wahrscheinlich, weil es ein trotziges Hoffnungswort ist, das uns eine Gesellschaft vor Augen stellt, in der Menschen sich in ihrer Vielfalt respektieren. Zugleich ist es ein Wort, das alle verstehen können. So wie die Fußballregeln. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. So hat auch dieses Wort eine hohe Integrationskraft.

Ich freue mich jedenfalls auf Spiele ohne Rassismus, auf Tore in letzter Minute, auf Elfmeter und spannende Zweikämpfe. Und auf die Erfahrung, mit vielen Menschen gemeinsam ein Sportfest zu feiern. Über Grenzen hinweg. Das ist nicht deckungsgleich mit der Botschaft von der Nächstenliebe, und es hat doch viel mit ihr zu tun.

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