SWR2 Wort zum Tag

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14JUN2021
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„So, jetzt sind wir da. Du gehst jetzt in die Türe hier auf der rechten Seite und ich gehe in die Türe auf der linken Seite. Und nachher, wenn Du wieder herauskommst, treffen wir uns genau hier wieder!“ Mit diesen Worten und einer behutsamen Geste hat ein Verwandter seine Frau zur Gästetoilette des Restaurants geführt, in dem wir uns zu einer Familienfeier getroffen hatten.

Eigentlich ein ganz unbedeutender und alltäglicher Vorgang. Aber mein Verwandter war nicht sicher, ob seine Frau den Weg wirklich allein gefunden und dann auch die richtige Türe gewählt hätte. Denn sie litt unter stark zunehmender Demenz.

So wie viele andere Menschen auch. Auf der Homepage der Deutschen Alzheimer Gesellschaft lese ich, dass in Deutschland heute ca. 1,6 Mio Menschen mit Demenzerkrankungen leben. Etwa zwei Drittel davon werden zu Hause von Angehörigen betreut und gepflegt.

Für die Angehörigen ist das eine ungeheure Herausforderung. Tag und Nacht. Immerzu darauf achten, dass nichts verlegt wird, die Herdplatte nicht anbleibt, ja keine Kerze brennt oder die Haustüre offen steht. Dabei ist verbale Kommunikation kaum möglich. Sogar der eigene Partner wird nicht mehr erkannt. Das übersteigt oft alle Kräfte.

Auch die der Betroffenen. Was muss das für ein Gefühl sein. Im Angesicht der Krankheit. Angst, Wut, Sprachlosigkeit, Scham, Hoffnungslosigkeit. Nicht mehr seiner selbst gewiss zu sein. Zu spüren wie das Vergessen zunehmend um sich greift. Und man einen Weg gehen muss, den man nicht gehen wollte. Ein stilles Leiden und Erdulden. In vielen Familien.

Mich hat beeindruckt, wie mein Verwandter mit seiner Frau und der Situation umgegangen ist. Ganz ruhig, verständnisvoll und mit großer Aufmerksamkeit, ihre Würde achtend. Ich weiß, er hat das so gemacht, nicht nur aufgrund seiner Persönlichkeit, sondern weil er auch fest davon überzeugt ist, dass seine Frau bei aller Veränderung ein achtenswerter und liebenswerter Mensch ist. Und bleibt. Gottes Geschöpf. Ihm anvertraut. In guter und in schwerer Zeit.

Dabei gibt ihm sein Glaube Halt. Nicht weil er den Alltag leichter macht. Aber weil er ihm Kraft gibt ihn zu bestehen. Es war zu spüren, dass er sich und seine Frau gehalten fühlte, als wir an diesem Tag das Lied „Meine Zeit steht in deinen Händen, nun kann ich ruhig sein“ gesungen haben:

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