SWR2 Wort zum Tag

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08JUN2021
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Es ist wie beim Besuch eines Juweliers oder beim Durchwandern einer schönen Ausstellung: eine Kostbarkeit schöner als die andere. Man bleibt stehen und hält inne, man schaut und staunt, und es macht etwas mit einem selbst. So geht es mir, wenn ich das Tagebuch von Dag Hammarskjöld in die Hand nehme, diesem großen Weltinnenpolitiker und Friedensmenschen. Seine Notizen verraten, aus welchen Quellen er schöpfte und warum er so überzeugend wirkte. Da finde ich z.B. diesen Satz: “Das Mysterium ist ständig Wirklichkeit bei dem, der inmitten der Welt frei von sich selber ist: Wirklichkeit in ruhiger Reife unter des Bejahens hinnehmender Aufmerksamkeit. Der Weg zur Heilung geht in unserer Zeit notwendig über das Handeln.“

Ein Satz wie ein Diamant, verdichtet und zunächst fremd wie aus einer anderen Welt. Aber es geht um den Alltag hier und jetzt. Hammarskjöld ist ein handfester Realpolitiker. Was ist jetzt zu tun und zu lassen – und vor allem: mit welcher Haltung und aus welchem Geist? Bin ich selber im Lot, gerät alles besser, als wenn ich selbst durch den Wind bin. Bin ich von Ehrgeiz zerfressen oder von tausend Gedanken besetzt, wirke ich anders als wenn ich im inneren Frieden bin. Wirklichkeit ist das Stichwort, ganz praktisch jetzt und z.B. an diesem Tag. Alles kommt darauf an, dass wir frei sind von uns selbst, so lautet Hammarskjölds Quintessenz – frei von inneren Zwängen, frei von egoistischen Motiven. Dann erst bin ich offen für das, was kommt, dann kann sich alles neu fügen, dann muss ich nichts erzwingen und machen. Hammarskjöld spricht vom Mysterium, er hat die Tiefendimension des Alltäglichen im Blick, nichts ist dann selbstverständlich, in allem ist mit dem Guten zu rechnen.

Wohlgemerkt, das schreibt ein Realpolitiker von Weltformat und mit einem wahnsinnigen Terminkalender. Hammarskjöld spricht vom Grund unseres Daseins, vom inneren Frieden, vom Vertrauen in das, was ist und kommt. Im Tagebuch notiert er die Innenseite dessen, was er auf der Weltbühne zu tun hat – und beides ist untrennbar. In beidem ist das Geheimnis am Werk, das wir Gott nennen. Das zeigt sich im Innehalten und Meditieren, es zeigt sich im Handeln, im gelebten Augenblick, in der Begegnung mit dem Nachbarn, in der Bewältigung des Alltags, im Blick auf die Welt - voller Liebe und Zustimmung, trotz allem.  „Das Mysterium ist ständig Wirklichkeit bei dem, der mitten in der Welt frei ist von sich selbst“ – und entsprechend handelt.

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