SWR2 Wort zum Tag

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04JUN2021
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Joseph Beuys. Hundert Jahre alt wäre er im Mai geworden. An ihm scheiden sich die Geister. Für manche ist er das größte künstlerische Genie des 20. Jahrhunderts. Für andere ein überschätzter Guru.

Ich finde, es lohnt, sich mit ihm zu beschäftigen. Zur christlichen Religion hatte Beuys ein eigenwilliges und eklektisches Verhältnis. Er nahm sich davon, was er brauchen konnte. Das Ergebnis war immer außergewöhnlich. Und meistens provokant.

Einmal rief ihm ein aufgebrachter Betrachter bei einer Ausstellung verärgert zu: „Herr Beuys, Sie reden hier über Gott und die Welt. Nur nicht über die Kunst“. Beuys antwortete: „Aber Gott und die Welt, das ist doch Kunst...“

Ich meine, nichts anderes sagt das christliche Glaubensbekenntnis: Gott hat die Welt geschaffen. Und dass der „Schöpfer des Himmels und der Erden“ somit ein Künstler ist. Der größte von allen...

Provokativ war auch der Vorschlag von Beuys, die Kreuze auf den Kirchtürmen durch Fragezeichen zu ersetzen. Er meinte: „Alles verstehen zu wollen, ist ein großes Missverständnis. Wenn Kunst irgendetwas enthielte, das verstanden werden sollte, dann wäre sie überflüssig. Diese Aufgabe wird schon von der Wissenschaft wahrgenommen.“ Auf dem Gebiet der Kunst aber sollten „nur geheimnisvolle Bilder geschaffen werden, so dass alle Gesichtspunkte des Menschen gefordert wären: Der Intellekt, die Sinne, die Gefühlskraft …“ 

Ich denke, auch der christliche Glaube spricht in unterschiedlichster Weise vom Geheimnis Gottes. Und respektiert damit das biblische Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis machen“. Für mich ist es eines der wichtigsten Gebote. Weil unsere Bilder oder Begriffe von Gott schnell blasphemisch werden, wenn wir glauben, uns dadurch Gottes bemächtigen zu können.

Darum meine ich: in dem, was Beuys provokativ vorgetragen hat, stecken ernst zu nehmende Fragen. Wie kann ich verhindern, dass Gott in meinem Denken und Reden zum „Gegenstand“ unter anderen Gegenständen wird? Wie bleibe ich offen dafür, dass mir Gott immer wieder anders begegnet? Konkret, menschlich - und so, dass sein Kommen meine Gottesbilder durcheinanderwirbelt.

Glauben bedeutet darum für mich eben nicht, die Antwort auf alle Fragen zu wissen. Sondern in einer Bewegung zu sein, die das Fragen und die Suche nach Gott offenhält. Und angesichts eines Geheimnisses zu leben, das einen durchs Leben tragen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33294
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