SWR1 Begegnungen

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03JUN2021
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Clemens Tewinkel Clemens Tewinkel mit seiner Familie. Copyright: Clemens Tewinkel.

Begegnungen mit Christopher Hoffmann...

und mit Clemens Tewinkel, der mit den „Wise Guys“ große Erfolge gefeiert hat. Die a capella-Band hat immer wieder riesige Konzerte auf Kirchentagen gegeben und engagierte sich auch für ein Projekt des katholischen Hilfswerks Misereor.* Und zwar für Straßenkinder in Neu-Delhi. Die hat Clemens Tewinkel vor Ort besucht. Er schaut aktuell sehr besorgt nach Indien, wo die Lage wegen Corona dramatisch ist. Neu-Delhi gilt weltweit als die Hauptstadt mit der schlechtesten Luft. Zahlreiche Menschen leiden dort sowieso schon an Lungenkrankheiten und sind nun wegen Corona besonders gefährdet:

Ich weiß noch genau, dass der erste Schockmoment, den ich hatte, war als ich in Delhi aus dem Flughafengebäude rauskam und da auf der Straße stand. Und offensichtlich verbrannte irgendjemand in unmittelbarer Nähe irgendwelchen Plastikmüll oder sonst was – es stank jedenfalls unglaublich. Und man hatte das Gefühl: „Oh Gott, lass uns mal hier weggehen.“ Und dann merkte man aber, man konnte dem nicht entfliehen, weil das einfach die ganze Stadt war.

Clemens Tewinkel besucht damals das Projekt „Butterflies“ und ist total begeistert. „Butterflies“ leistet  ganz unbürokratisch Hilfe zur Selbsthilfe: Lehrer fahren zum Beispiel dorthin, wo die Straßenkinder leben und unterrichten sie: unter Brücken oder auf dem Bürgersteig. Außerdem helfen sie medizinisch. Und die Kinder werden ermutigt das gefährliche Leben auf den Straßen Delhis mit eigenen Ideen zu verbessern:

Ein Problem für die Kinder war zum Beispiel, dass es keinerlei Registrierung gab und dass – wenn so ein Kind dann auf einmal nicht mehr kam – das im Zweifel niemand bemerkt hat.So ein Kind, das  mit acht Jahren auf der Straße lebt, allein, ohne Angehörige, ohne irgendeine Kontrolle durch die Polizei und so weiter ist natürlich leichte Beute für alle möglichen furchtbaren Dinge, die da passieren können von Sklaverei über Zwangsprostitution und so weiter. Und diese Bedrohung war den Kindern sehr bewusst und dann haben sie sich überlegt, was sie dagegen machen können und haben ein Ausweissystem  eingeführt , wo die Kinder bei der Organisation registriert wurden und dann auch irgendein Kärtchen, Ausweispapier mit sich führten, wo halt nur drinstand: Ich bin ein registriertes  Kind, wenn ich nicht mehr auftauche, dann wird das bemerkt – man wird mich vermissen. Weil ich registriert bin.

Als Clemens Tewinkel Indien besucht ist er junger, dreifacher Familienvater und erlebt deshalb besonders krass, wie unterschiedlich die Startbedingungen auf dieser Welt verteilt sind:

Man hat halt Kinder getroffen, die ein bisschen älter waren als die eigenen und vielleicht war es deswegen auch so, dass man gesehen hat: meine Kinder sind nicht anders als diese Kinder hier, aber es ist irgendwo total unfair, dass diese Kinder hier nicht die gleichen Chancen haben. Und der lebt hier im Slum, während meine Kinder zu Hause hier einen tollen Garten haben.  

Die Indienreise verändert Clemens Tewinkel, der von da an auf jedem Konzert der „Wise Guys“ um Spenden für das Projekt wirbt – ich merke ihm an: bis heute lässt ihn das Schicksal der jungen Menschen aus Delhi nicht kalt:

Es ist tatsächlich so, dass mich das rührt, wenn ich da zurückdenke, weil ich diese Kinder dann getroffen habe. Das war eine Erscheinung! Das war eine Erfahrung!Das Problem ist, dass in Delhi diese Kinderim Dreck leben – und dass „Butterflies“ denen die Möglichkeit gegeben hatin Erscheinung zu treten und ihre auch Talente zu nutzen. Das waren einfach Kinder, wo man so denkt: „Du bist ja Hammer!“

In einer Millionenstadt den einzelnen Menschen sehen – und seine und ihre Talente. Das begeistert Clemens Tewinkel bis heute. Er selbst hatte in seinem Leben die Chance seine Talente zu entfalten – studiert Physik, Mathe, Musik und Informatik. Ich spreche mit Clemens Tewinkel, der mit der a capella Band „Wise Guys“ berühmt wurde. In seiner aktiven Zeit als Sänger warb er auf jedem Konzert für ein Hilfsprojekt von Misereor für Straßenkinder in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Und denen geht es gerade so schlimm wie noch nie:

Also was ich erfahren habe ist, dass es unheimlich viele Kinder tatsächlich gibt, die verwaisen, wo die Eltern einfach sterben oder die Eltern  so krank sind, dass sie sich einfach nicht mehr um die Kinder kümmern können. Dann wurde mir eigentlich erst klar durch die Gespräche auch mit Misereor, dass natürlich viel viel mehr Kinder jetzt dazukommen – und die Situation durch Corona noch mal viel dramatischer wird .

Misereor ist auf Unterstützung angewiesen, um weiterhin in Indien mit Nahrungsmitteln, Masken und psychologischer Begleitung für die traumatisierten Kinder da sein zu können.  Für Clemens Tewinkel  spielen christliche Werte wie Nächstenliebe eine zentrale Rolle in seinem Engagement. Aber er geht noch einen Schritt weiter und erzählt mir, dass für ihn ein Gebot  Jesu eine ganz besondere Bedeutung hat:  „Liebe deine Feinde“ (Mt 5,44).

Also mit anderen Worten – das Vergeben und das Verzeihen und das Ablehnen von Rache. Im Christentum ist die Rache verpönt. Das ist für mich total entscheidend. Und natürlich gelingt einem das nicht immer ja, so Revanchegedanken hat man ja schon manchmal. Aber insgesamt bin ich schon christlich geprägt und versuche das auch an meine Kinder weiterzugeben.

Auch wenn Clemens Tewinkel am Bodenpersonal und der Institution Kirche vieles kritisch sieht. Und die Musik? Hat die für den Künstler Clemens Tewinkel auch eine religiöse Dimension, will ich wissen. Dem ehemaligen Mitglied der „Wise Guys“ fällt ein Chorstück ein, das er in seiner Jugend sehr gerne gesungen hat, das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Darin geht es um den alttestamentlichen Propheten Elias - und für Clemens Tewinkel geht es  auch um Urvertrauen:

Es gibt im Elias zum Beispiel das Stück „Ob tausend fallen zu deiner Seite und Zehntausend zu deiner Rechten , so wird es doch dich nicht treffen“. Und wenn man den mit großem Orchester und dann im Chor mitsingt, das packt einen schon und das hat dann auch eine spirituelle Komponente find ich, weil man dieses Zutrauen oder dieses sich Verlassen auf Gott und auf „es wird schon alles werden“ und „Es wird gut werden“  und ich glaube daran, das hat schon eine unheimliche Kraft.

 

Weitere Infos auf www.misereor.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33271
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