SWR3 Gedanken

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11JUN2021
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Mein Bekannter Dirk hat in einem Offenburger Pflegeheim eine sehr berührende Szene erlebt. Er ist Seelsorger und war bei Herrn Roth zu Besuch. Herr Roth ist schon älter und zittert stark. Erst reden die beiden Männer über dies und das, und dann sagt Herr Roth zu Dirk: „Vielleicht sollte ich noch die Beichte ablegen.“ Dirk fragt nach: „Warum möchten Sie das?“

„Naja, in meinem Leben habe ich vieles nicht richtig gemacht. Ich war nicht immer gut zu den Menschen, die mir wichtig sind.“

Dann ist Pause. Nach einer Weile fragt Dirk: „Glauben Sie, dass es einen Gott gibt?“ Da nickt Herr Roth, das ist für ihn selbstverständlich, aber er weiß nicht so recht, wie er sich Gott vorstellen soll. Dann meint er: „Vielleicht ist Gott eher streng.“ Jetzt kommt wieder Dirk. Er sagt: „Also ich stelle mir Gott liebevoll vor und so, dass ich jederzeit mit ihm neu anfangen kann. Gott ist für mich viel großzügiger als wir Menschen. Deshalb kann Gott auch jeden Fehler verzeihen.“ Jetzt schaut Dirk Herrn Roth direkt in die Augen und fragt ihn: „Könnten Sie sich vorstellen, dass Gott alles verzeiht?“

Darauf Herr Roth: „Dass Gott verzeiht, glaube ich, aber nicht alles. Nicht alles, was ich getan habe.“

Wieder Stille.

Zum Schluss sagt Dirk noch einmal: „Das Neue Testament erzählt von so vielen Geschichten, in denen Jesus schlimme Dinge bedingungslos verzeiht. Deshalb kann ich mir Gott gar nicht anders vorstellen.“

Jetzt steigen dem alten Mann die Tränen in den Augen. Dann hört sein Zittern auf und Herr Roth wird ganz ruhig.  

Ein paar Tage nach dem Gespräch ist Herr Roth gestorben. Er sei friedlich eingeschlafen, so hat man es Dirk erzählt.

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