SWR2 Wort zum Tag

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02JUN2021
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Der Beruf ist umstritten: Sogar die Bibel thematisiert Prostitution ambivalent. Einerseits werden Prostituierte als Glaubensvorbilder hingestellt. Andererseits wird vor dem Umgang mit ihnen gewarnt. Ob eine Frau als Prostituierte arbeitet, ist Jesus ziemlich egal gewesen.

Kein Wunder, dass er mit den religiösen Autoritäten seiner Zeit oft aneinandergeraten ist. Einmal haben ihn einige Männer in ein Gespräch verwickelt. Jesus hat sich aber gar nicht auf Diskussionen eingelassen, wer jetzt moralisch im Recht ist, sondern hat ein Gleichnis erzählt. Eine Geschichte davon, wie das Leben sein könnte, wenn es so wäre, wie Gott es gewollt hat. Als sie das nicht akzeptiert haben, sagt er ihnen geradeheraus: "Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr."

Heute vor 46 Jahren haben sich französische Prostituierte zum ersten Mal aus der Deckung gewagt. Sie haben demonstriert und auf den rechtsfreien Raum hingewiesen, in dem sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Whore lives matter“ könnte auf ihren Plakaten gestanden haben: „Ein Hurenleben zählt.“ Zählt genau so viel wie jedes andere Menschenleben. Als die Polizei die Demonstration auflösen wollte, haben sich die Frauen in eine Kirche geflüchtet. Sie haben dort Kirchenasyl gesucht. Und sich unter den Schutz dessen gestellt, dem es völlig egal ist, welchem Gewerbe ein Mensch nachgeht.

Dass die Polizei dieses Kirchenasyl nach acht Tagen mit Gewalt aufgelöst hat, ist kein Ruhmesblatt in dieser Geschichte. Aber mutige Frauen haben damals einen Anfang gesetzt und uns zugerufen: Seht den Menschen!

Seither hat sich einiges geändert. Umstritten ist der Beruf freilich auch heute noch. Bei uns in Deutschland gilt er seit bald zwanzig Jahren als ein anerkanntes Gewerbe. Prostituierte können sich anmelden, sich krankenversichern und ihren Lohn einklagen. Diese Rechte haben in manchen Kreisen zu einem neuen Selbstbewusstsein von Frauen geführt, die sich stolz als „Sexarbeiterinnen“ bezeichnen. In der Beratungsstelle Anna in Heidelberg hören die Sozialarbeiterinnen aber auch ganz andere Geschichten. Frauen, die fast noch Kinder sind, erzählen von Schulden und dem Teufelskreis aus Abhängigkeiten, in den sie dadurch geraten sind. Sie erzählen von körperlicher und von seelischer Gewalt. Dabei haben auch sie einmal davon geträumt, wie das Leben sein könnte, wenn es anders wäre als das Elend, dem sie zu entkommen suchten. Wir können uns den mutigen Demonstrantinnen nur anschließen Seht den Menschen! Seht diese Frauen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33261
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