SWR4 Abendgedanken

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04JUN2021
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Wo ist nur die Zeit geblieben? Das hat mich neulich bei einem Besuch eine ältere Dame gefragt. Sie sind jetzt 60 Jahre verheiratet – diamantene Hochzeit. Sie haben mir davon erzählt, wie sie Kinder waren. Wie sie aufgewachsen sind und sich kennen gelernt haben. Wie sie sich verliebt haben und wie ihre Kinder groß geworden sind. Mittlerweile haben sie sechs Enkelkinder und sogar zwei Urenkelkinder. Wo ist nur die Zeit geblieben?

Diese Frage begleitet mich seitdem. Denn irgendwie merke ich das langsam an mir selber. Ich lebe mein Leben so jeden Tag vor mich hin und zack ist schon wieder ein Jahr vorbei. Unsere Kinder sind jetzt schon bald zehn und zwölf und waren doch gerade erst noch so klein. Ich bin mittlerweile 23 Jahre aus der Schule raus und muss jetzt auch schon ganz schön lange scrollen, wenn ich irgendwo mein Geburtsjahr angeben muss.

„Meine Zeit steht in Deinen Händen“.  Das ist ein Satz aus einem alten Gebet in der Bibel. Das ist für mich so ein bisschen eine Antwort auf diese Frage, wo die Zeit denn geblieben ist. Denn die Antwort bleibt – zugegeben – etwas rätselhaft. Wie kann ich mir das denn vorstellen – Lebenszeit aufbewahren? Der Mensch, der diesen Satz geschrieben hat, weiß aber, dass sein ganzes Leben in direktem Zusammenhang mit Gott steht. Deshalb bringt er im Gebet alles, was ihn freut, alles was ihn stört und alles, was ihn traurig macht direkt vor Gott. Und noch mehr. Dieser Mensch weiß ganz sicher: Mein Leben kommt von Gott. Es ist ein Geschenk. Und, wenn ich irgendwann einmal sterbe, dann geht es zu ihm zurück. Deshalb steht meine Zeit in seinen Händen.

Ja – ein Stück weit bleibt diese Antwort rätselhaft. Aber sie gibt mir zumindest die Sicherheit, dass mein Leben nicht umsonst ist. Nichts, was ich tue oder was ich bin ist egal – zumindest nicht für Gott. Und das alles ist auch nicht einfach irgendwann weg, zerplatzt, wie eine Seifenblase.

Alles, was ich bin. Alles, was ich in meinem Leben erreicht habe und alles, was vielleicht schiefgegangen ist, ist nicht irgendwann einfach verloren. Sondern bei Gott gut aufgehoben. Denn auch meine Zeit steht in Gottes Händen.

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