SWR2 Wort zum Tag

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12JUN2021
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Die Tage während der Corona-Pandemie können schnell eintönig werden. Bis zur Herdenimmunität werden wohl noch ein paar Monate vergehen. Manchmal wünsche ich mir da eine Zeitmaschine, um Corona einfach zu überspringen. Doch mit solchen Wünschen sollte ich vorsichtig sein. Das zeigt folgende Geschichte:

Eine junge Frau hat sich für einen Spaziergang verabredet. Sie ist frisch verliebt und fiebert ihrem Rendezvouz schon seit Tagen entgegen. Jetzt sind es nur noch drei Stunden bis dahin.

Da entdeckt sie auf ihrem Handy eine neue App. Sie heißt „Zeitsprung“. Sie gibt den Tag und die Uhrzeit ein und schon springt sie in der Zeit dorthin.

Der erste Test ist auch gleich erfolgreich: Im nächsten Augenblick geht sie mit ihrem Schatz am Fluss spazieren. Der jungen Frau gefällt die Zeitsprung-App und sie nutzt sie bald häufiger. Erst überspringt sie nur die Wartezeit auf den Bus, später die Monate bis zur Hochzeit. Sie erlebt nur noch die schönen Tage, denn auch den Streit im Büro oder die Grippe im Bett kann sie einfach überspringen.

Erst an ihrem 70. Geburtstag entschließt sie sich, die App zu löschen. Die Jahrzehnte sind wie im Flug vergangen. Wenn sie auf die vielen Jahre zurückblickt, hat sie das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

Ich erkenne mich in dieser Geschichte wieder. Ständig gibt es diese nervigen Wartezeiten. Oft lebe ich in gedanklich in der Zukunft. Aber selbst wenn es die App „Zeitsprung“ gäbe, verzichte ich darauf gerne. Denn es gibt eine bessere Lösung. Entscheidend ist, ob ich selbst darüber bestimmen kann, wie ich meine Zeit gestalte. Dafür gibt es sogar ein Fachwort aus der Arbeitsorganisation: Zeitsouveränität. Je souveräner ich mit meiner Zeit umgehen kann, desto zufriedener werde ich. Fühle ich mich fremdbestimmt, empfinde ich bald Langeweile oder Stress. Das gilt im Beruf und in der Freizeit: Es nervt, wenn ich am Gleis auf den Zug warte, der schon wieder verspätet kommt. Viel besser geht es mir, wenn ich vorher ein gutes Buch einpackt habe und einfach anfange zu lesen. Und anstatt nur auf das Wochenende zu warten, kann ich mir nach Feierabend noch etwas Schönes vornehmen.

Ich kann meine Tage wie eine ungeliebte Schulstunde erleben, die ich irgendwie absitzen muss. Oder ich sehe in jedem Tag ein Potential, das ich nutzen und gestalten kann. Für mich als Christ, ist meine Zeit wie ein Geschenk. Und die will ich möglichst kreativ und aktiv nutzen. Das Zauberwort lautet: Zeitsouveränität.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33227
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