SWR2 Wort zum Tag

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28MAI2021
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Vor ein paar Tagen bin ich an einem Schild vorbeigelaufen, auf dem es um die Renaturierung der Jagst ging. Die Jagst ist der Fluss, der durch meine Heimatstadt Ellwangen fließt. Renaturierung – ich finde, das ist ein tolles Wort. Zurück zur Natur, so könnte man es übersetzen. Oder etwas weiter begriffen: Zurück in den Urzustand. Das wiederherstellen, was einmal gewesen ist.

Bei Flüssen wie der Jagst geht es darum, die einmal angelegten Begradigungen zurückzubauen, die ursprüngliche Pflanzenwelt wieder anzusiedeln, damit Tierarten, die auf solche Landschaften angewiesen sind, ihren Lebensraum haben. Ziel ist es, möglichst nahe an den ursprünglichen Zustand heranzukommen. Dazu muss man vor allem dafür sorgen, dass das Wasser wieder langsamer fließt.

Ich habe mich gefragt, ob uns Menschen, ob mir selbst nicht auch so eine Renaturierung gut tun würde. Gerade jetzt, wo wir alle guter Hoffnung sind, dass wir uns bald wieder freier bewegen dürfen.

Letztes Jahr, als es mit den ersten Lockdown-Schritten losgegangen ist, habe ich manchmal den Eindruck gehabt, als würde etwas in dieser Richtung entstehen. Oft war von Menschen zu lesen, die es als Chance gesehen haben, mehr zuhause zu sein, mehr Zeit fürs Privatleben zu haben. Viele wollten die verordnete Pause nutzen, sich Ruhe gönnen, alles noch einmal überdenken. Sich um Dinge kümmern, die liegen geblieben waren. Ich bin einigen Menschen begegnet, die dankbar dafür waren, aus dem Alltag gerissen zu werden. Die gewonnene Zeit hat man genützt, um zu prüfen, worauf es wirklich ankommt.

Solche Töne sind inzwischen wieder selten geworden. Eigentlich sind sie verstummt. Alles dauert ja länger als erwartet. All die Maßnahmen, scheint mir, werden überwiegend als lästige Pflicht empfunden. Und wenn ich die Nachrichten schaue, bekomme ich den Eindruck, als würden wir nur noch mit den Füßen scharren, um endlich wieder loslegen zu können.

Um die Geschwindigkeit eines Flusses zu verringern, wird sein Flussbett verbreitert. Es werden Flussschleifen und Inseln angelegt. Außerdem häufig Kiesbänke. Dann kann das Wasser gemächlich fließen, Tiere und Pflanzen machen sich breit, die Hochwassergefahr ist gering.

Ich will versuchen, wenn es keine „Coronaregeln“ mehr gibt kein künstlich begradigter schneller Fluss zu sein, um möglichst schnell voran zu kommen. Ich hoffe, es gelingt mir wieder mehr zu mäandern, langsam zu fließen, dann sehe ich auch das, was um mich herum geschieht. Hie und da will ich auf einer Insel haltmachen und rasten.

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