SWR2 Wort zum Tag

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27MAI2021
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Der Legende nach waren es Mönche aus Maulbronn, die die Maultasche erfunden haben. Weil in der Fastenzeit, vor allem am Karfreitag kein Fleisch gegessen werden durfte, haben sie es einfach in einer Teigtasche versteckt. Damit es der liebe Gott nicht sieht. Deshalb heißen sie im Schwäbischen auch: „Herrgottsbscheißerle.“

Man kann sich jetzt fragen, was das wohl für Mönche gewesen sind, die versucht haben, ihren Gott zu hintergehen. Streng betrachtet haben sie ja die Regeln ihrer eigenen Kirche gebrochen. Man könnte sie Sünder oder Frevler nennen.

Vielleicht sind es aber auch ein paar vernünftige Männer gewesen. Die Maultasche ist in einer Zeit entstanden, in der es nicht wie bei uns immer alles gegeben hat. Eine Zeit, in der es wichtiger war, dass man etwas isst und nicht was man isst. Die Mönche haben wahrscheinlich selber nicht an Hunger gelitten. Aber sie haben über ihre Mauern hinausgeschaut und erkannt, dass es für die armen und hart arbeitenden Leute wichtiger ist sich zu ernähren, als strenge Fastenvorschriften zu befolgen. Und da ist die Maultasche eine elegante Lösung, finde ich. Wenn der Glaube dem Leben im Weg steht, ist es gut, flexibel zu sein und Kompromisse zu finden.

Das gilt erst recht, wenn es darum geht, wie die verschiedenen Religionen miteinander umgehen. Es ist nicht zu ertragen und nicht hinnehmbar, dass heute noch Menschen andere aus religiösen Motiven unterdrücken und ermorden - seien sie wirklich oder nur vorgeschoben. Dass Menschen sich so dermaßen versteifen und geistig erstarren, dass sie es nicht mehr schaffen über die eigenen Mauern hinauszublicken.

Da braucht es etwas von dieser Maultaschenmentalität: Die Fähigkeit, die eigene Überzeugung in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Das Eigene nicht über das Andere zu stellen. Sich selber nicht zu wichtig zu nehmen. Das wünsche ich mir von jeder Glaubensgemeinschaft und von jeder gläubigen Person. Nein, ich wünsche es mir nicht, ich verlange es. Von Männern und Frauen der christlichen, der muslimischen, der jüdischen, der buddhistischen, der hinduistischen Welt. Von Menschen, deren Glaube sich in diesen Bezeichnungen nicht wiederfindet. Von atheistisch oder agnostisch denkenden Menschen, von allen, die für sich eine klare Wahrheit gefunden haben.

Es ist nämlich so: Niemand hat die Wahrheit gepachtet. Wir glauben nur.

Und ich denke, es ist besser hie und da im Sinne der Maultasche mal den Herrgott ein bisschen zu „bescheißen“, als sich gegenseitig totzuschlagen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33212
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