SWR1 Begegnungen

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23MAI2021
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Sebastian Baden

Peter Annweiler trifft Sebastian Baden, Kurator der Kunsthalle Mannheim

Teil 1: Neues Verstehen
Sperrig, irritierend oder provozierend? – Kein Problem für den 40jährigen. Der Kunstwissenschaftler kümmert sich um zeitgenössische Kunst an der Mannheimer Kunsthalle. Mich fasziniert, dass der Mann nicht nur kundig über Kunst spricht, sondern Vieles mit seinen Händen angepackt hat.  

Ich bin von Hause aus eigentlich Bildender Künstler, ich hab‘ Bildhauerei gemacht an der Akademie, hab geschweißt, Holzbildhauerei gelernt, auch Buchbinderei, also alle die Dinge, die man für eine Vermittlungsarbeit auch später gebrauchen kann.

Und heute vermittelt er: Zwischen Werk und Betrachtenden. Zwischen Theorie und Anschauung. Wer vermittelt, muss vieles kennen. Und genau wie Sebastian Baden Werkstoffe kennen gelernt hat, weiß er auch: Er kann seinen Job nur gut machen, wenn er etwas über das Christentum weiß.

Es ergeben sich eben Kennlernmomente – und besonders, wenn man für’s Staatsexamen büffeln muss, hat man die ganze christliche Ikonographie vor Augen, wie sie aus dem Frühchristentum entstanden ist. Das war faszinierend zu sehen, dass auch ohne Glaube die Notwendigkeit der Kenntnis dieses Systems von Bild, Denken und Schrift wichtig ist, um das eigene Berufsbild zu definieren.

Klar, denke ich: Grünewald, Michelangelo, Da Vinci - ein Kunsthistoriker muss sich beruflich gut mit Darstellungen biblischer und religiöser Themen auskennen.

Doch der Protestant mit pfälzischen Wurzeln ist auch persönlich offen geblieben für Religion in der Kunst. Jetzt gerade wieder: Er hat die Ausstellung zu Anselm Kiefer in Mannheim gemacht, einem der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler:   

Eine riesige entwurzelte Palme liegt da zum Beispiel. Kraftvoll und kraftlos zugleich. Wunderbares und Zerstörtes finden in der Handschrift des Künstlers zusammen. Ich fühle mich ausgeliefert und zugleich aufgehoben in einem Zusammenhang, der viel größer ist als ich. Worte sind zu klein dafür.

Sebastian Bastian sagt es so:
Mich hat überrascht, wie ich mich plötzlich für diese Fragestellung des Undarstellbaren begeistern kann. Das war eine Überlegung, wie sich die Kunst mit der Darstellung Gottes beschäftigt: Dass also ein Künstler wie Anselm Kiefer einen auf diese Suche von Undarstellbarkeit bringt, sowohl aus der jüdischen Perspektive wie eben auch aus der christlichen.

Das Undarstellbare – für mich ist es auch ein Name für Gott. Denn Gott ist immer größer als das, was ich weiß, kenne oder ausdrücken kann.

Das sind wirklich spirituelle Momente, die am Anfang auf mich so gewirkt haben wie etwas, das ich von mir weisen müsste, weil es zu spirituell war – und dann dachte ich: Nein! Ich lass‘ mich drauf ein und versuch‘ zu erkennen, was dahinter steckt. Und da eröffnen sich plötzlich ganz neue Momente der Welterkenntnis.

Mich drauf einlassen. Auf das, was mir fremd, rätselhaft und voller Fragen erscheint. Und dann entsteht auf diesem Weg ein „neues Verstehen“ von mir, von Gott und unserer Welt.  Für mich klingt darin auch etwas Pfingstliches an.

Teil 2: Pfingstliche Inspirationsräume

Der 40jährige macht Ausstellungen für helle, hohe und weite Räume – und die sind für ihn mehr als ein „white cube“, ein neutraler, weißer Hintergrund.

Die Kunsthalle, finde ich, das ist ein sehr spiritueller Ort, der ne Stille ausstrahlt. Das schreckt einerseits die Menschen ab, führt aber auch dazu, dass es eine respektvolle Haltung gibt. Und die bedeutet ja auch wie in der Kirche ne Art von Meditation. Und ich glaube, dieses Zur-Ruhe-Kommen, dieses Sich-Selbst-Entdecken in diesen Räumlichkeiten ist ein wichtiger Faktor.

Kirchenräume  und Museen sind einander ähnlich. Sie sind Inspirationsräume, die etwas anderes als „Alltag“ bieten. Sie können mich an meinen Ursprung zurück binden und Offenheit für Neues wecken. Es gibt aber keine exklusiven Orte für Religion und Inspiration.

Wenn ich Protestant bin zum Beispiel, dann lässt sich die Religiosität ja auch in einem anderen Ort finden, also durchaus auch in einem Museum in einem Kunstwerk. Und dann kann das Werk immer noch christlich sein, weil es einen bestimmten Inhalt transportiert, den ich aus meiner evangelischen Sozialisation heraus entdecke – und andere Menschen aber nicht.

Klar: Die eigene Prägung macht aus, welche „Antennen“ ich entwickle. Für mich ist noch mehr im Spiel. Kunst und Religion werden erst lebendig, wenn es einen Schwung, einen Überschuss von schöpferischen Kräften, ein neues Verstehen gibt. Etwas, das das Leben neu beseelt – und das wir uns nicht vornehmen können. Das heutige Pfingstfest steht genau dafür und hat viel mit den Künsten zu tun. Sebastian Baden:

Mittlerweile bin ich beruflich auf Pfingsten hin ausgerichtet, weil es damit um ein sehr konzeptuelles, spirituelles Ereignis geht: Also die Aussendung des Geistes und damit etwas, das man rein rational überhaupt nicht erklären kann. Sondern das ist etwas, was empfunden werden muss. Und diese subjektive Empfindsamkeit – die hat sehr viel mit künstlerischem Erleben zu tun.

Vom Verstehen zum Empfinden. Vom Denken zum Begeistern. Das ist der Pfingstweg – und der kann auch die Geschwister Kunst und Religion wieder zusammen bringen, die sich in der Moderne auseinander gelebt haben.

Beide sind ja Schwestern, die  sich gemeinsam entwickelt haben. Erst die Moderne hat mit der Revolution ein Schisma gebracht (wenn man so will), das die Kunst von der Religion getrennt hat. Und das hat mich auch fasziniert: Wie ist ein Graben entstanden, den man wieder schließen kann?

„Kurator“ – das ist jemand, der sich sorgt und kümmert. Der „Kümmerer“ Sebastian Baden sorgt mit seinem Wirken dafür, dass der Graben zwischen Kunst und Religion nicht tiefer wird.  Die Begegnung mit ihm macht mir neu bewusst: Überall, wo Menschen sich darum kümmern, dass Gräben zugeschüttet werden, kommt pfingstlicher Geist ins Leben.

Mehr Informationen Sebastian Baden, zur Anselm-Kiefer-Ausstellung und zur Kunsthalle Mannheim unter:
www.kuma.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33186
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