SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

18MAI2021
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„Kannst Du eigentlich mal wütend sein?!“ hat mich vor Kurzem eine Freundin gefragt.  „Nicht so wirklich..“ war meine Antwort. Natürlich rege auch ich mich ab und zu auf und sage deutlich, was mich stört. Aber so richtig wütend sein, kann ich eigentlich nicht. Manchmal beneide ich die Menschen, die das können. Denen der Kragen platzt und die einmal so richtig alles, was in ihnen liegt, rauslassen. In der Bibel wird auch von  solchen Wutausbrüchen berichtet. Mose hat z.B. voller Zorn die beiden Tafeln mit den Zehn Geboten zerschmettert als er das Goldene Kalb erblickt hat, das sein Volk in seiner Abwesenheit zum Anbeten erschaffen hat. Da kann man ja auch wütend werden. Aber ist das die Lösung? Es muss ja auch irgendwie zusammen weitergehen.

Wenn ich merke, dass ich mich ärgere, versuche ich erst einmal zu verstehen, was mich ärgert. Da brauche ich oft ein bisschen Zeit und Abstand - und manchmal schmeiße ich meinen Ärger auch einfach Gott vor die Füße. Der hält das aus - und dann werden die Dinge nacheinander sortiert. Vielleicht hätte das Mose auch geholfen. In seiner Wut sieht er nur, dass das Volk Gott und ihm nicht vertraut hat. Darum war Mose enttäuscht. „Wie kann das sein? Gott ist für euch da, ich bin für euch da und wenn man euch mal einen kleinen Augenblick alleine lässt, habt ihr das sofort vergessen?“ Mose übersieht in seiner Wut, dass die Menschen Angst gehabt haben. Wie sollte es für sie ohne Anführer weitergehen? Er war ja nicht da.

Ich finde, wenn man es in einem Streit schafft, erst einmal einen Schritt zurückzutreten, um die Sicht des anderen zu verstehen, dann kann sich eine Menge bewegen. Für beide Seiten.  Dann kann aus Wut sogar etwas Fruchtbares werden, weil man miteinander erkennt, dass das eigene Herz für dieselbe Sache brennt.  

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