SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

18MAI2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Was soll ich denn da sagen? Oft ist es schwer, die richtigen Worte zu finden, wenn es einem Freund schlecht geht oder eine Kollegin eine schwere Zeit durchmacht. Besonders dann, wenn ich ihn oder sie, wie derzeit oft, nicht persönlich sehen kann, sondern wir nur am Telefon oder am Bildschirm miteinander reden. Kann ich Worte finden, die in so einer Situation helfen, trösten? Das habe ich mich oft gefragt. Inzwischen habe ich aber eine Entdeckung gemacht, die mich dabei entlastet. Inzwischen glaube ich: Es kommt gar nicht so sehr darauf an, was ich sage. Sondern eher darauf, wie ich zuhöre.

Die Geschichte von Momo hat mich auf die Spur gebracht. Viele kennen das Buch von Michael Ende, in der es das kleine Mädchen Momo mit den „grauen Herren“ aufnimmt, die den Menschen die Zeit stehlen. Die Stelle mit dem Zuhören habe ich allerdings erst entdeckt, als ich das Buch noch einmal als Erwachsene gelesen habe:

Gleich am Anfang der Geschichte wird erzählt, dass viele Menschen zu Momo kommen, um mit ihr zu reden. Nicht, weil sie besonders klug ist und guten Rat geben, weise Urteile fällen oder trostreiche Worte finden kann. Momo hat eine andere Gabe, so beschreibt es Michael Ende: Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. [...] Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

Momo kann so zuhören, dass dabei erstaunliche Dinge passieren. Ratlosen und unentschlossenen Leuten hört sie auf bestimmte Weise zu, dass sie plötzlich wissen, was sie wollen. Schüchternen hört sie auf einfühlsame Weise zu – so dass sie sich am Ende frei und mutig fühlen. Und allen gibt Momo das Gefühl, ein wertvoller Mensch zu sein – einfach, indem sie zuhört.

Und wenn jemand meinte, so heißt es im Buch weiter, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankam [...] – und er ging hin und erzählte das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.

Zuhören können wie Momo – das ist bestimmt nur sehr wenigen Menschen gegeben. Aber ich glaube: Aufmerksam sein, uns Zeit nehmen, genau hinhören und uns einfühlen, das können wir alle. Deshalb: Wenn es schwer fällt die richtigen Worte zu finden – öffnen wir die Ohren und das Herz und hören zu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33158
weiterlesen...