SWR4 Abendgedanken

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10MAI2021
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Am Wochenende war ich zusammen mit meinem Mann und unserem Sohn in Luxembourg.  Dort wohnt meine Schwiegermutter. Sie ist nun 87 Jahre alt und im letzten Jahr gestürzt. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt hat sie nun einen guten Platz in einem Pflegeheim.

Fast 60 Jahre wohnten meine Schwiegereltern im eigenen Haus! Aber nun muss dieses Haus geräumt werden, das Haus, das meine Schwiegermutter so unfreiwillig und unerwartet verlassen musste. Alles liegt noch da wie am Tag des Sturzes.

Diesen Samstag wollten wir nun räumen. Mein Mann sollte den großen Werkzeugkeller seines Vaters auflösen mit der Unterstützung von unserem Sohn und unserem Neffen.

Die drei verschwanden im Keller und reisten in die Vergangenheit: unzählige Werkzeuge gab es wegzupacken, aber für die Jugend auch zu entdecken. Viele angefangene Werkstücke lagen noch da – der Schwiegervater hatte das ganze Haus mit Holzarbeiten ausgestattet. An diesem Tag haben die Enkel mehr über den längst verstorbenen Großvater erfahren als all die Jahre zuvor. Und neben der vielen Arbeit, die das Wegräumen mit sich brachte, wuchs in ihnen der Respekt und die Achtung vor seiner Arbeit, aber auch vor der Art und Weise, wie der Großvater das Haus eingerichtet hatte. Man spürte immer noch die ganze Liebe und Energie, die er da reingesteckt hatte.

Ich fing an, einen der vielen Schränke auszuräumen. Viel zu viel von allem: Schränke voller Tortenhauben, Tortendeckchen und  Geschenkpapieren – Vorräte für die nächsten 20 Jahre. Und das alles musste jetzt irgendwie versorgt werden.

Aber beim Wegräumen dieser vielen Sachen spürte ich plötzlich ganz deutlich die Sorge und die Liebe, die meine Schwiegermutter mit all diesen Sachen verbunden hatte. Als wir noch mit den Kindern zu Besuch kamen, bekam jeder von uns seinen Lieblingskuchen gebacken. Das war viel zu viel, wir konnten das nie aufessen und nahmen immer noch zwei Kuchen mit nach Hause. Das war ihre Art, für uns zu sorgen und uns ihre Liebe zu zeigen.

Und Geschenke waren ihre Sprache der Liebe. Sie brachte gerne von überall etwas für uns mit und sie kam immer mit liebevoll verpackten Geschenken zu uns zu Besuch. Die unzähligen Geschenkpapiere und Geschenkbändchen erzählen immer noch davon.

Nun müssen wir all das wegräumen.

Die Schränke werden leer, das Haus wird allmählich leer.

Aber was sich füllt ist die Schatzkiste unserer dankbaren Erinnerungen.

Jedes einzelne Stück, das wir in die Hand nehmen, erzählt vom Leben der Schwiegereltern. Einiges wird weiter genutzt, als Erinnerung mitgenommen. Anderes wird weggegeben.

Als wir am Abend heimfahren, sind es nicht nur der Staub und die müden Knochen, die wir mit nach Hause nehmen. Es sind die vielen Erinnerungen, die meinen Mann und später uns alle geprägt haben und die ein Teil unseres Lebens sind und uns nun froh und dankbar machen.

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