SWR2 Wort zum Tag

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08MAI2021
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Den eigenen Überzeugungen und dem eigenen Glauben entsprechend zu handeln, oft fällt das sehr schwer. Das gilt schon im normalen Alltag, um wieviel mehr wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht.

Morgen vor 100 Jahren, am 9. Mai 1921, wurde Sophie Scholl geboren. Gemeinsam mit ihrem Bruder Hans ist sie für viele der Inbegriff des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Noch im Verhör nach ihrer Festnahme sagte sie, sie bereue ihr Vorgehen nicht und wolle die Folgen, die ihr aus ihrer Handlungsweise erwüchsen, auf sich nehmen.

Dass ihr diese Konsequenz im Widerstand gegen die Nazis keineswegs in die Wiege gelegt war, stellt Robert Zoske in seiner Biographie über Sophie Scholl heraus. Der evangelische Pfarrer grenzt sich darin von einer unhistorischen Sichtweise auf Scholl ab. Sie sei – nicht zuletzt durch die Familie – zu einem Klischee für das Gute und Einfache geworden und man habe sie zur Heiligen ohne negative Züge stilisiert. Demgegenüber zeichnet er ein zwar einfühlsames, aber auch kritisches Bild der jungen Frau: So betont er etwa, dass der eigentliche Initiator des politischen Widerstands Hans Scholl gewesen sei, dass Sophie zwei Jahre länger als nötig dem Bund Deutscher Mädchen angehört habe und nennt sie wörtlich ein „Hitlermädchen“.

Mich berührt, wie menschlich Zoske Sophie Scholl beschreibt: verführbar, fehlbar, zweifelnd hin- und hergerissen, und schließlich doch zum Äußersten entschlossen und in all dem tief religiös. Ich lerne eine Frau kennen, die sich von der Welt und dem Leid, das ihr begegnet, ansprechen und verändern lässt. Eine Frau, die Fehler macht, und der es an manchen Stellen gelingt, daraus zu lernen.

Keine Heilige also? Aber nur dann, wenn man darunter ein makelloses moralisches Vorbild versteht, das zu jeder Zeit über jeglichen Fehler erhaben ist. Dabei sind in einem evangelischen Verständnis mit den Heiligen schlicht und ergreifend die Gläubigen gemeint. Die sind Gerechte und Sünder zugleich, so formuliert es Luther. Sie sind gerecht, insofern sie auf Gott vertrauen, und Sünder, insofern kein Mensch Gott und sich selbst je ideal gerecht wird.

Als Sophie von den Flugblattaktionen ihres Bruders erfuhr, schrieb sie, sie lege ihre ohnmächtige Liebe in Gottes Hand, damit sie mächtig werde. Sie bat um ein „mitleidiges Herz“, damit sie lieben könne, konkret hieß das für sie: Eintreten in den Widerstand. Ihr großes Gottvertrauen brachte Sophie Scholl dazu, für ihre Überzeugungen einzustehen. Ich finde, sie ist damit eine evangelische Heilige im besten Sinne: Sünderin und Gerechte zugleich.

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