SWR1 Begegnungen

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02MAI2021
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Janine Knoop-Bauer trifft: Dr. Kerstin Söderblom, Hochschulpfarrerin der esg Mainz

Ich treffe die promovierte Theologin und Seelsorgerin via zoom. Seit etwas über einem Jahr ist sie Pfarrerin der Studierendengemeinde in Mainz – sie kennt die Arbeit bisher nur unter Pandemiebedingungen. Was sind Ihre Aufgaben habe ich sie gefragt.

Also zunächst einmal ganz banal: Ich … als Pfarrerin, bin da für alle Belange. Als Seelsorgerin habe ich ein Ohr, höre zu, gerade jetzt in Krisenzeiten. Das, was die Studierenden mitbringen, sei es am Telefon, sei es in der Videokonferenz, sei es im Gespräch analog - was wir im letzten Jahr immer, wenn es ging, auch gemacht haben oder auf unseren berühmten Seelsorge Spaziergängen. … mit einem Studenten oder einer Studentin. Also ein Seelsorge - ein Beratungsspaziergang, der sich als sehr, sehr hilfreich und kostbar gezeigt hat.

Kreativ sein und Kontakt ermöglichen – trotz Abstandsgebot. In Mainz ist die Studierendengemeinde mittendrin. Mit Wohnheim und sogar einer eigenen Kirche. Ganz ähnlich wie eine „normale“ Kirchengemeinde und doch eben nicht für alle Altersgruppen:

Sondern für Studierende, die 20 bis 30 Jahre alt sind und entsprechend zielgruppenspezifisch mit deren Sprache, deren Musik, deren Themen. … Wir missionieren nicht. Wir bekehren nicht, sondern wir hören zu und checken, was die jungen Leute wollen. Und das setzen wir gemeinsam um. 9,12

Das, was die jungen Leute wollen hat sich im vergangenen Jahr geändert. Weil ganz grundlegende studentische Erfahrungen gar nicht möglich sind. Viele Studierende sind wegen der Pandemie wieder nach Hause gezogen – in ihr altes Kinderzimmer. Auch weil Verdienstmöglichkeiten weggefallen sind und die Mieten einfach zu teuer. Für die jungen Leute ist das bitter.

Wir haben es mit Studierenden zu tun im dritten Semester, die noch nie eine Uni von innen gesehen haben, die nicht wissen, wie die Uni-Räume aussehen, die ihre Professoren nur aus einer Kachel kennen. Wenn man hier in Mainz über den Campus geht, das ist gruselig. Das ist irgendwie so wie aus so einer Dystopie nach irgendwelchen Einschlägen oder sonst irgendetwas. Also da ist wenig los und 20 bis 30-Jährige - man muss kein Psychologe/Psychologin sein, um zu wissen, dass das in der Persönlichkeitsentwicklung die Jahre sind, wo die sich ausprobieren müssen, wo die Peer-Group entscheidend ist, wo die lernen müssen, Partnerschaften zu leben, Sexualität ausprobieren, wer bin ich? Und wenn ja, wie viele? Welche Identität ist meine? Gehört Religion zu mir oder nicht? Was ist meine Weltanschauung, des müssen die mit den jungen Leuten unter sich erstmal aushandeln.

Der Glaube als Kraft-Ressource

Kerstin Söderblom ist Hochschulpfarrerin in Mainz. Zu Ihr und Ihrem Kollegen kommen Studierende aller Fachrichtungen. Sie beobachten mit Sorge, dass seit Beginn der Pandemie immer mehr Studierende Beratungsbedarf haben. Sie hat den Eindruck: Die Studierenden werden nun schon seit über einem Jahr immer wieder dazu angehalten Rücksicht zu nehmen. Das tun sie auch gerne meint Sie, aber zu einem hohen Preis.

Ein Jahr später sehe ich als Seelsorgerin und Beraterin, dass das auf ihre Kosten geht. … die spezifischen Belange von 20-Jährigen, die eine ganz, ganz entscheidende Entwicklungsphase in ihrer Persönlichkeitsentwicklung haben, die ist irgendwo zwischen allen Stühlen hinten runtergefallen. Und diese Leute, die nicht gehört werden, die nicht ernst genommen werden und die mit ihren Sorgen - und ich sage es jetzt mal scharf: mindestens depressiven Verstimmung an vielen Orten und völliger Isolation, … die damit alleingelassen werden.

Die Studierenden sind froh über das analoge Angebot der Kirche.

Ein Student, der zu mir kommt und mir erzählt acht Stunden plus vor dem digitalen Schirm. Ich verliere irgendwie meine Zeitstruktur. Ich verliere meinen Lebensrhythmus, und ich verliere ein Gefühl dafür: ist jetzt eigentlich morgens, mittags, abends … und ich muss das einfach mal erzählen.

Oft geht es in den Gesprächen darum den Alltag zu bewältigen, erzählt sie – mit der Einsamkeit klarzukommen. Manchmal helfen da schon ganz einfache Ideen und Tipps

Wann stehe ich auf? Wann mache ich Bewegung? Wann ist auch mal frische Luft dran? Wann mache ich was und wie und kochen auch nicht bitte nur Pizza. Aber eben daneben auch die Frage: Wie kommt Spiritualität zurück in mein Leben? Ich vermisse es, aber ich kriege es also überhaupt nicht mehr gebacken, weil ihr die Sprache fehlt, weil mir eigentlich alles fehlt.

Sprache finden für das, was schwer ist. Aber auch Sprache finden für das was hilft. Quellen finden, aus denen man Kraft schöpfen kann. Dass Glauben und Verstehen können zusammengehören, dafür steht kerstin Söderblom ein. Auch als rolemodel mit den Erfahrungen, die sie persönlich mitbringt.

Meine Rolle ist tatsächlich so etwas wie eine Glaubenszeugin zu sein. Also eine, die glaubt und trotzdem mit festen Füßen auf dem Boden steht, ihren Verstand, nicht ausschaltet, sondern akademisch und wissenschaftlich gebildet ist, eine Promotion geschrieben hat und sich sehr gut auch im Wissenschaftsdiskurs auskennt. Und dass sich das nicht widerspricht. Und das, was ich tue, ist Angebote machen. Ich versuche tatsächlich, biblische Geschichten mit Lebensgeschichten in den Dialog zu bringen, in Schwingung zu bringen und mit Studierenden zusammen zu schauen: Was haben denn biblische Geschichten heute noch mit unserem Alltag zu tun?Und so kommen wir ins Gespräch. So kann eine biblische Geschichte auch zu einer Hoffnungsgeschichte für Lebensgeschichten heute werden.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33080
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