SWR2 Wort zum Tag

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„Der Mensch besitzt nur Bedeutung, wenn es wahr ist, dass ein Gott für ihn gestor-ben ist.“ Ich lese diesen Satz in einem Bändchen mit Aphorismen des kolumbiani-schen Denkers Nicolás Gómez Dávila.
Ein eigentümlicher Mensch muss dieser Dávila gewesen sein. Einen „Einsiedler am Rand der bewohnten Erde“ hat ihn der Schriftsteller Martin Mosebach genannt.
Was Dávila schrieb – es ist nicht viel – schrieb er gleichsam wie eine Fla¬schenpost in knappen, aphoristischen Sätzen. Er schrieb für alle, die – wie er – das Gefühl dafür nicht verloren hatten, dass der Mensch nicht ganz von dieser Welt ist.
Dávila wusste, das der Mensch scheitert, der sich nur aus sich selbst zu begründen versucht. Vor den Machbarkeitsfanatikern fürchtete er sich. Und er verteidigte eine Lebenseinstellung, die ihre Zentralperspektive außerhalb ihrer selbst hat.
„Der Mensch besitzt nur Bedeutung, wenn es wahr ist, dass ein Gott für ihn gestor-ben ist.“ Wer so spricht, hat ein feines Sensorium für das Geschehen der Passions-geschichte. Denn in der Passion Christi vollzieht sich die totale Umwertung jeder religiösen Konvention.
Was sich im Weihnachtsevangelium ankündigt, dass Gott Mensch wird, erfährt hier seine äußerste Zuspitzung. In einem alten christlichen Hymnus heißt das so: „Der, der in göttlicher Gestalt war, erniedrigte sich selbst und nahm den Tod am Kreuz auf sich.“ Gott wird nicht nur Mensch, sondern begibt sich auch noch an den tiefs-ten Punkt menschlicher Erniedrigung.
Es gibt in der Geschichte der Menschheit wenig Vergleichbares. Mir fallen Geschich-ten ein, wo ein Mensch stellvertretend für einen anderen eintritt und dessen Schicksal zu seinem eigenen macht. Eine Mutter oder ein Vater opfert sich für die Kinder. Einer setzt sein Leben ein, um andere aus der Hand des Tyrannen zu be-freien.
Was aber besagt ein solches Handeln im Blick auf die, für die es geschieht? Dávila war der Meinung, dass der unermessliche Wert eines Menschenlebens nicht danach zu bemessen ist, was ein Mensch getan, geleistet und erworben hatte. Sondern sich von daher bestimmt, was er oder sie für einen anderen bedeutet.
Knapper kann man es nicht sagen, worum es bei der Passion Christi geht. Der Mensch besitzt darum Bedeutung, weil es wahr ist, dass ein anderer für ihn gestor-ben ist.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
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