SWR2 Wort zum Tag

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01MAI2021
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Der 1. Mai. Viele denken bei diesem Datum an Feste und Demonstrationen, an Proteste oder Arbeitsfrei. Im christlichen Kontext nimmt der 1. Mai eine andere Rolle ein. An diesem Tag stehen in der Katholischen Kirche zwei Menschen im Mittelpunkt: Maria und Josef.

Ok, der Mai, das wissen viele noch, ist der traditionelle Marienmonat. Aber Josef? Der 1. Mai ist fast überall auf der Welt der Tag der Arbeit. Und Josef war nun einmal, folgt man der Bibel, ein Handwerker, ein Zimmermann. Wenn in der Kirche dieser Zimmermann am 1. Mai im Mittelpunkt steht, dann hat das tatsächlich mit der Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter zu tun. Denn erst im 19. Jahrhundert wird Josef sozusagen entdeckt. In einer Zeit, in der Industrialisierung, Fließbandarbeit und Ausbeutung der Arbeiter an der Tagesordnung sind. Es ist eine Zeit, in der viele Menschen unter elenden Umständen schuften und leben. Nach und nach sind es auch Caritas und Kirche, die sich der Arbeiter annehmen, die gegen Fabrikbesitzer und Ausbeutung angehen. Die Verkürzung der Arbeitszeit, feste Ruhetage oder das Verbot von Kinderarbeit gehen auch auf das Engagement der Kirchen zurück.

Da kommt Josef, der Vater Jesu, gerade recht. Der Zimmermann kommt aus bescheidenen Verhältnissen, er muss seine junge Familie durchbringen und er weiß, was harte Arbeit bedeutet. Dieser Josef wird für viele zum Leitbild. Er steht dafür, dass auch die einfachen und hart arbeitenden Menschen eine Würde besitzen und zu achten sind. Wie alle, die heute in schlechtbezahlten Jobs zu Hause sind, nur befristete Verträge bekommen oder mit Mindestlöhnen abgespeist werden.

Maria scheint da ein Gegenbild zu sein. Wohl niemand denkt bei ihr an harte Arbeit. Alle Mariendarstellungen in Kirchen und Museen erzählen von einer Frau, die wunderbar gekleidet ist, demütig blickt und alles erträgt, oft mit einer Blume in der Hand und roten Wangen. Doch die Maria der Bibel ist eine andere Frau. Sie wird ungewollt schwanger. All ihre Träume und Pläne muss sie aufgeben. Muss plötzlich in Familie machen. Sie wird von Kaiser und Staat hochschwanger auf eine Reise geschickt – nach ihrer Meinung wird nicht gefragt. Dann ist sie auf der Flucht, muss sich und ihr Kind in Sicherheit bringen. Und sie ist eine Frau, die es ganz schön schwer hat mit ihrem Sohn. Der stößt sie ein ums andere Mal vor den Kopf. Kann ihre Sorge um ihn nicht verstehen. Er sieht nämlich seine Freunde als seine Familie an. Da ist kein Platz für die Mutter. Maria ist schließlich auch eine Frau, die ihr Kind begraben muss. Etwas, das Eltern nicht erleben möchten.

Wer diese Geschichten ernst nimmt, der kriegt mit dem Bild der demütigen Frau so seine Schwierigkeiten. Maria ist eine Frau, die ihre Frau stehen muss. Die nichts geschenkt kriegt und doch zuversichtlich und hoffnungsvoll bleibt. Ich glaube, dass es gerade das ist, was an Maria faszinieren kann.

Vor wenigen Tagen bin ich auf einer Wanderung im Hunsrück an einer Marienkapelle vorbeigekommen. Drinnen ein paar Kerzen und viele Tafeln an den Wänden. Karteikartengroß. Und überall ein Satz: Maria hat geholfen. Immer wieder. Da bedanken sich Menschen auf diesen sogenannten Votivtafeln bei Maria. Für Unterstützung und Hilfe, die sie erfahren haben. Ich tue mich schwer mit dieser Frömmigkeit. Aber ich kann spüren, was dahinter steht: Dass Menschen in Maria, dieser Frau, die vieles durchgemacht hat, eine Verbündete sehen. Eine, die weiß, wie es ganz unten aussieht. Eine, die deshalb nah bei den Menschen ist.

In dieser Lesart entdecke ich bei Maria und Josef ganz Ähnliches. Es sind zwei Gestalten, die die menschliche Seite des Glaubens mit Leben erfüllen. Die deutlich machen, wie konkretes Leben auch in schwierigen Zeiten gehen und gelingen kann. Die deutlich machen, dass jeder Mensch Würde und Bedeutung besitzt. Am 1. Mai – und an jede, Tag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33055
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