SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Nimm die Tageszeitung – jeder Tag ist eine Wunde. So heißt es bei Siegfried Lenz in seinem Essay „Über den Schmerz“. Es ist eine Meditation darüber, wie der Schmerz unser Leben durchzieht. Der Schmerz des Körpers und der Schmerz der Seele.
Vielfältig ist der Schmerz. Uns allen bekannt. Ohne dass wir genau sagen könnten worin er besteht. Er bleibt ein Geheimnis. Am Ende wissen wir nur, dass er hinein gewoben ist in jedes Leben.
„Er ist ein Seinsereignis“, schreibt Siegfried Lenz, “das zum Menschen gehört, und je länger wir darüber nachdenken, desto entschiedener rät uns die Vernunft, ihn nicht allein als Unheil zu betrachten.“
Er schließt mit der Überlegung: „Wenn wir ihn mit gelassener Aufmerksamkeit bestimmen, zeigt es sich, dass er auch einen Offenbarungscharakter hat: er öffnet uns nicht nur unsere Ohnmacht und Verletzlichkeit, sondern lässt uns auch eine tröstliche Möglichkeit der Existenz erkennen – die Möglichkeit einer Bruderschaft im Schmerz.“
Passionszeit ist die Zeit, in der wir uns dieser Bruderschaft im Schmerz bewusst werden. So sehr sich Menschen unterscheiden – durch Lebenseinstellungen und Wertvorstellungen, durch unterschiedliche Interessen und geheime Wünsche: den Schmerz kennen alle. Als Pfahl im Fleisch. Als Wunde der Seele. Als Gewahrwerden der Zerbrechlichkeit unseres Lebens.
Dass Christus unseren Schmerz kennt und ihn teilt, macht seine Passion zu einem universalen Ereignis. „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen ... Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch sei-ne Wunden sind wir geheilt.“
Diese Worte vom Propheten Jesaja sind zum Urbild christlicher Hoffnung geworden. Dass wir nicht allein gelassen sind mit unserem Schmerz. Sondern dass einer ihn geteilt hat. Dass einer diesen alle und alles erfassenden Schmerz zu seiner Angele-genheit gemacht hat.
Christus, der Schmerzensmann, der den Schmerz der Menschen teilt und damit eine Geschwisterschaft im Schmerz stiftet. So jedenfalls wünsche ich mir Kirche. Verbunden im Blick auf den Schmerzensmann, der den Schmerz überwunden hat.
Ich denke heute Morgen an alle, deren Schmerz nicht weichen will, die darunter leiden, dass jeder Tag für sie eine Wunde ist. Ich wünsche ihnen, dass sie glauben und erfahren können, dass sie nicht allein sind mit ihrem Schmerz. Sondern ver-bunden in der unsichtbaren Geschwisterschaft des Schmerzensmannes von Golga-tha.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3305
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