SWR4 Abendgedanken

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29APR2021
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Sätze, die mit „Ich“ beginnen, sind heikel. Wenn sie anderen etwas anbieten, dann ist es gut. Aber wenn sie ausdrücken, dass ich wichtig bin, ich Recht habe, dann entstehen daraus Probleme. Sie werden um so größer, wenn ich mich bei dem, was ich sage, zunehmend nur um mich selbst drehe, wenn ich zum Mittelpunkt der Welt werde, und nicht mehr bemerke, dass da andere sind. All die anderen Menschen, die mit gleichem Recht „Ich“ sagen. Mir fällt auf: In der Pandemie gibt es viele problematische Ich-Sätze. Das hängt damit zusammen, dass wir alle sehr auf uns selbst zurückgeworfen sind. Es gibt wenig Ablenkung. Unsere Tage sehen ziemlich gleich aus. Wir sind viel weniger mit anderen Menschen konfrontiert - weder beruflich noch privat. Da passiert es leichter, dass man sich zum Maß der Dinge macht. Aber das ist gefährlich.

In der Corona-Pandemie hat es immer wieder Einschränkungen gegeben. Ob das immer die richtigen Entscheidungen waren, die Politiker dabei getroffen haben, um die Gefahren klein zu halten, will ich hier nicht diskutieren. Was ich aber weiß: Die Maßnahmen greifen nur, wenn möglichst alle sich daran halten. Wobei es durchaus begründete Ausnahmen geben kann. Aber die Begründung kann nicht das eigene Ich sein. Jeder hat die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten, wenn es darum geht, dass unser Zusammenleben gelingt. Dass Einzelne dann sagen: „Ich halte mich nicht dran“, das geht nicht. Es ist unsozial und zerstört das, worauf eine demokratische Gesellschaft aufbaut: das Wohl der Gemeinschaft. Das ist übrigens auch ein Prinzip der katholischen Soziallehre. Wer Ich sagt und für sich ein Recht in Anspruch nimmt, muss prüfen, ob er damit anderen schadet.

Noch so ein Ich-Satz: „Ich lasse mein Kind nicht testen.“ Manche Eltern wollen nicht, dass ein Fremder mit einem Stäbchen in der Nase ihres Kindes herumstochert. Das kann ich durchaus verstehen. Aber die Eltern müssen dann auch das akzeptieren, was sich logisch daraus ergibt, und ihre Kinder zuhause lassen. Ich weiß, dass die Schnelltests umstritten sind und keine hundertprozentige Auskunft über eine Infektion geben. Aber sie sind wie die Masken ein Mittel, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Wer sich aus persönlichen Gründen nicht daran halten will, darf dann nicht andere gefährden, die sich daran halten. Oder anders ausgedrückt: Wer Ich sagt, muss das Wir immer mitdenken. In schwierigen Zeiten ganz besonders.

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