SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

25APR2021
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Wenn’s drauf ankommt und es soweit ist, bleibt nur ein Versuch. Ein einziger. Dann muss es klappen. Ein Absturz kann tödlich enden. Denn Adler nisten oft in großer Höhe. Wie aber soll so ein Junges auf Anhieb fliegen können. Flattern vielleicht. Das hat es ausprobiert. Den Alten abgeschaut, wie die es machen. Aber fliegen!? Wie gut, dass für den schlimmsten Fall es dann doch eine Sicherung gibt. Die Mutter, die einen auffängt, den Vater, der seine mächtigen Flügel ausbreitet. Und hinaufträgt in die so wunderbaren, so beeindruckenden, aber auch so gefährlichen Lüfte. Dann: ein neuer Versuch. Wieder und immer, immer wieder. Bis es schließlich klappt. Allein. So lernen Adlerjunge fliegen.

 

Der mich trug auf Adlers Flügeln, 
der mich hat geworfen in die Weite
und als ich kreischend fiel, mich aufgefangen mit den Schwingen 
und wieder hoch mich warf, 
bis dass ich fliegen konnte aus eigner Kraft.

 

Ohne das Wort auszusprechen, erzählt Huub Oosterhuis eine wunderbare Parabel über Gott. Er zeigt einmal mehr, dass es die direkte ausdruckschwere Rede gar nicht braucht. Wer hören gelernt hat und Bilder deuten kann, versteht auch so. Ja, er versteht noch besser, weil der Vergleich davor bewahrt, Gott in ein zu enges Korsett zu zwängen. Oosterhuis ist ein Meister darin, in Bildern von Gott zu sprechen. Sein Wesen einzufangen in der Natur, in den Geschöpfen. Wenn dann noch eine so passende Melodie wie die von Bernard Huijbers dazu kommt, die die Worte zusätzlich zum Leben erweckt, dann wird daraus ein erhabener Gesang.

Ich bin in meinem Leben mehr als einmal hingefallen. Und meistens von allein wieder aufgestanden. Dazu brauchte ich keinen Gott. Im Grunde nicht einmal den Glauben, dass Gott mich nicht fallen lässt. Aber einmal war es so wie in diesem Lied: Ich bin kreischend gefallen. Innerlich. In eine unbekannte Tiefe, in ein dunkles Loch. Es hat weh getan und mir Angst gemacht. Ich war wie gelähmt, abgrundtief erschöpft. Meine eigene Kraft hat damals nicht gereicht, um mich wieder zu berappeln. Ich war froh über jede Hilfe und die gab es. Zum Glück! Auf diese Weise bin ich zwar gefallen, aber nicht abgestürzt. Mit Fliegen und Freiheit hatte das nichts zu tun. Lange nichts. Bis ich eines Tages gespürt habe: Jetzt geht es wieder. Du kannst es wagen. Aus eigener Kraft. Und im Nachhinein hatte ich irgendwann verstanden: Ich saß die ganze Zeit immer auch auf Gottes Schwingen. So lange bis ich bereit war, es wieder mit der Weite aufzunehmen. Dann hat ER mich geworfen.

 

 

 

Verwendete Aufnahme:

Der mich trug auf Adlers Flügeln, aus: Atem meiner Lieder. 100 Lieder und Gesänge.

Text: Huub Oosterhuis. Musik: Bernard Huijbers.

MIRASOUND 399443-3

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33045
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