SWR2 Wort zum Tag

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27APR2021
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Wir wollen unser altes Leben zurück! Wir sind Pandemie-müde und wollen einfach wieder Normalität. So geht’s mir jedenfalls und ich sehe die Impfungen als einzige Chance, wie wir als Gesellschaft und sogar als Menschheit endlich wieder rauskommen aus dieser Geiselnahme durch ein Virus.

Aber Moment: Was macht denn diese „Normalität“ aus, die ich mir zurückwünsche? Heißt das, wir verabschieden uns von diesen Utopien einer gerechteren Gesellschaft und kehren wieder zurück zu den Gesetzmäßigkeiten von Profit und Ausbeutung? Eigentlich hatte doch die Pandemie-Situation so viele neue Ideen hervorgebracht und die Hoffnung, dass so vieles doch anders gehen kann!

 

Die Schriftstellerin Sibylle Berg hat mich dieser Tage beeindruckt mit einem Beitrag zu dieser Frage. Sie schreibt: „Die »Normalität« meint oft die Rückkehr von einer unbekannten zurück in die bekannte Angst – die man als Motor des Wachstums bezeichnen kann. Die Angst vor dem Verlust der Wohnung, des Arbeitsplatzes, die Angst vorm Scheitern im sogenannten Wettbewerb, im Rennen um das Überleben in einem System, das außer Bedrohung und Belohnung wenig für seine User zu bieten hat.“

Mich hat dieser Text zum Nachdenken gebracht, weil ich in diese „Normalität“ nicht zurückkehren will.

Corona hat uns gezwungen, vieles anzuhalten und auszuhalten. Das ist eine große Chance, unsere Bilder vom angeblich Normalen im Kopf zu hinterfragen, denen wir doch alle fast nie gerecht werden. Sibylle Berg schreibt, dass in diesen Bildern keiner ist, der „schwarz, zu klein, zu groß, zu dick, zu traurig, weinend oder erschöpft, versoffen oder verzweifelt ist – so wie wir alle aber sind.“

 

Nur wenn wir nicht möglichst schnell wieder in alte Normen zurückfallen, sind wir fähig, neue Ideen wirklich umzusetzen. Ideen, die uns gekommen sind, als die Pandemie uns ausgebremst und zum Stillstand gezwungen hat.

Natürlich ist es anstrengend, neue Wege jenseits des „normalen“ zu suchen. Es ist unbequem und aufwendig. Aber wäre es weniger anstrengend, im „normalen“ Trott dann in die nächste Pandemie oder die nächste globale Krise zu schlittern?

Im Wörtchen „normal“ steckt eine Versuchung, totalitär zu werden, weil es dazu führen kann, dass Unterschiede eingeebnet und Menschen „normiert“ werden. Ich will es in Zukunft so wenig benutzen wie nur möglich.

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