SWR2 Wort zum Tag

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24APR2021
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Wie wunderbar können Kirchenglocken klingen! Satt und warm und hell und klar. Musik in den Ohren für Viele. Manche Kirchen lassen mit ihren Glocken mittlerweile Melodien erklingen. Mit einer ausgetüftelten Technik. In Tübingen gibt es auf diese Weise vom Turm der Stiftskirche aus weithin hörbar Kirchenchoräle.

Mich begeistert der Klang alter Glocken, aus der Ferne wie aus der Nähe. Aber - wie es heißt es doch so schön treffend auf Plattdeutsch: »Wat den een sien Uhl, is den annern sien Nachtigall«.

Was soviel heißt wie: Was der eine liebt, was dem einen Musik in den Ohren ist, Nachtigallen gleich – ist für den Anderen lästiges Kreischen und Krächzen – eine Ruhestörung, eine nächtliche dazu, eine den Schlaf störende „Lärmemission“. Menschen in der Nachbarschaft von Kirchen erleben das sehr verschieden: Sobald die Glocken reparaturbedingt nicht läuten, kommen Anrufe: „Wann läuten sie wieder? Ich sehne mich nach diesem Klang.“

Doch wenn die Glocken wieder funktionieren und das Morgengeläut erklingt, kommen auch Beschwerden. „Das war so schön ohne – warum jetzt wieder läuten?“ Was für die einen eine himmlische Ruhe am Morgen ist – ist für andere eine quälende Stille. Ich denke, es ist gut, wenn beide voneinander wissen und füreinander gegenseitig Verständnis haben können.

Dafür ist es wichtig, finde ich, dass Kirchen wieder ins Bewusstsein rücken, wieso ihre Glocken läuten – was die einzelnen Läutezeiten bedeuten.

An vielen Orten läuten Kirchenglocken zum Morgen-, zum Mittags- und zum Abendgebet. Eine Einladung zum Mitbeten ist das! So wie wenn die Vaterunser-Glocke während des Sonntagsgottesdienstes erklingt. Ein Glockengeläut am 15 Uhr erinnert in aller Regel an Jesu Tod am Kreuz. Andere Läutezeiten erinnern an Menschen, die in Not bewahrt worden sind. Und wer die Totenglocke hört, kann Anteil nehmen an der Trauer der Hinterbliebenen und die Verstorbenen auf ihrem Weg  zum Grab im Gebet begleiten.

Ich kann mir vorstellen, dass bei einigen über so ein Aufklären über die Bedeutung der verschiedenen Geläute, Verständnis und Freude am Glockenklang wieder wachsen könnten.

Andererseits  könnten Kirchengemeinden auch darüber nachdenken, ob sie für Ausschlafhungrige am Wochenende und gesetzlichen Feiertagen das frühe Läuten aussetzen.

Jedenfalls: Kirchenglocken sind mehr als ein Ersatz für eine Taschenuhr. Und in meinem Inneren löst selbst das Stundengeläut vom Kirchturm ein anderes Zeitempfinden aus, als ein piepsendes elektronisches Signal eines Weckers. Mir läuten die Glocken am Morgen einen neuen Lebenstag ein: Ich kann noch einmal  im Leben dabei sein. Das tut mir in der Seele gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33035
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