SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

02APR2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Annette Bassler trifft Christoph Kaiser, Schauspieler

In dem Film „Schattenstunde“ verkörpert er den Theologen und Liederdichter Jochen Klepper. Der ist mit seiner jüdischen Frau und deren Tochter in den Freitod gegangen. Zwei Jahre lang ist Christoph Kaiser alle Wege gegangen und war an allen Orten dieses Mannes, der sein Leben hingegeben hat für die, die er liebte.

Es war ja nicht in seiner Macht in den Freitod zu gehen, das ist aus christlicher Sicht Gottes Entscheidung. Und trotzdem sah er keinen Ausweg. Trotzdem hat er immer versucht: wo ist das Zeichen Gottes, dass ich es doch tun kann? Weil- ich kann es nicht anders tun, ich kann meine Familie nicht in den Tod gehen lassen und dabei zuschauen. Und ich kann sie auch nicht alleine gehen lassen. Ich muss sie begleiten, auf die andere Seite.

Miteinander ins Licht gehen, dieser Gedanke hat Jochen Klepper getröstet. Bis zum Schluss behielt er sein Vertrauen in Gott. Und das klingt auch in all seinen Liedern an, die mich geprägt haben. Liedern wie dieses:
Er weckt mich alle Morgen, Er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor,
daß ich mit Seinem Worte begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte ist Er mir nah und spricht.
Das Gottvertrauen von Jochen Klepper hat auch Christoph Kaiser nachhaltig verändert.

Ich hatte ja zu Gott so ein zwiespältiges Verhältnis. Mein Vater war damals sehr, sehr schwer krebskrank. Und ich war 15 Jahre alt. Da kam der Tag seines Todes. Meine Mutter war gerade genau an diesem Tag am Sterbebett ihrer Mutter, also außerhalb unserer Wohnung. Und ich war mit meinem Bruder allein bei meinem Vater, habe ihn in den Arm gehalten und wirklich bis zum letzten Atemzug bei mir gehabt und wollte ihn einfach nicht gehen lassen. Und habe gebeten und gebettelt „Gott, lass doch meinen Vater hier!“ Und das war da nicht so. Und ich habe dann Gott dafür die Schuld gegeben. Du hast meinen Vater weggenommen, du hast es zugelassen.

Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Über vierzig Jahre hat Christoph Kaiser diese Frage in sich vergraben.

Ich war böse mit ihm. Und jetzt mit der Auseinandersetzung der Rolle von Jochen Klepper, das hat mich natürlich erstmal angeregt, auch wieder tiefer in meine Vergangenheit zu schauen. Und mir ist bewusst geworden, dass ja nicht Gott die Krankheit in Krebs ausgelöst hat und ihn nicht genommen hat, sondern dass er dafür seine Aufgabe sieht, wie das erträglich zu machen. Dass ich damit klarkomme.

Das alles war ein längerer Prozess. Der Film „Schattenstunde“ will das Leben von Klepper und das Schicksal der vielen ans Licht bringen, die aus Liebe zu ihrer jüdisch angeheirateten Familie mit ihr in den Tod gegangen sind. Am Holocaustgedenktag im kommenden Jahr soll der Film in die Kinos kommen.

Besonders beeindruckt hat ihn, wie standhaft er war und an seinen Werten festgehalten hat.

An den Werten wie Liebe  „bis der Tod uns scheidet“, wie Treue. Und das mit einer Hartnäckigkeit! Aber auch mit einer gewissen Sicherheit zu wissen: Ich muss diesen Weg gehen, um meine Familie zu schützen. Und ich muss diesen Weg gehen, mit ihnen gemeinsam, um sie nicht alleine gehen zu lassen und alle Repressalien dafür auf sich zu nehmen.

Jochen Klepper war Pfarrerssohn und wäre selbst gerne Pfarrer geworden. Aber aus gesundheitlichen Gründen konnte er sein Theologiestudium nicht abschließen und arbeitete als Journalist und Schriftsteller.

Man hat seine Werke geschätzt. Man hat seine Romane geschätzt. Nur kam dann irgendwann dieser Goebbelsche Ausruf „Beruf oder Ehr!“ Und da mussten sich eben Menschen, die sich in -man nannte es damals- „Mischehe“ befanden, entscheiden: Gehe ich meiner Karriere, meinem Beruf nach und trenne mich von meinem jüdischen Partner oder tu ich es eben nicht.

Und Jochen Klepper tat es eben nicht. Obwohl er immer wieder mit Berufsverbot belegt wurde. Aber er fühlte sich als Deutscher und sagte immer:

Ich bin der Letzte, der hier gehen wird, weil hier ist meine Leserschaft hier ist meine Hörerschaft und von wo aus kann ich sie besser erreichen als von hier vor Ort in Deutschland. Und ich glaube, er hat auch immer noch gehofft und gebangt, dass dieser Spuk mal aufhört und es sich wieder zum Guten wendet.

Bis zum Schluss hat Klepper gehofft, seine Familie könnte durch Ausreise einer Deportation ins KZ entgehen. Als die unmittelbar bevorstand, hat er sich mit seiner 15 Jahre älteren Frau und seiner erwachsenen Stieftochter in ihrem Haus in Berlin das Leben genommen. Da war Jochen Klepper gerade 39 Jahre alt. Christoph Kaiser hat die drei auf dem Friedhof in Berlin- Nikolassee besucht.

Als ich dann so diese Gräber gesehen habe und diese Inschriften, da gab es so etwas- man kann es nicht erklären- man hatte das Gefühl, keiner von denen war allein. Sie haben es zusammen gemacht und werden bei Gott auch angekommen sein. Das hat etwas friedvolles gehabt, finde ich.

Die Geschichte von Jochen Klepper ist für mich eine Karfreitagsgeschichte, die sagt: Der Tod ist grausam. Immer. Aber die Liebe ist stärker als der Tod und nimmt ihm die Macht. Der Film „Schattenstunde“ unter der Regie des kongenialen Benjamin Martins bringt das unter die Haut. Durch seine Rolle als Jochen Klepper hat Christoph Kaiser nach vielen Jahren mit dem Tod seines Vaters und mit Gott Frieden schließen können.

Ich bin regelmäßig an seinem Grab, und wir kommunizieren miteinander. Ich habe das Gefühl, ja, er ist lebendig. Und da ist mir so klar geworden: vielleicht ist das ja Gott, der durch ihn spricht, oder mein Vater spricht durch Gott und wie auch immer. Und wenn es so ist, dann gibt es auch für mich Gott wieder.

---------------------------------------------

„Schattenstunde“ – das Leben und Sterben von Jochen Klepper
Kinostart: 27. Januar 2022 (Holocaustgedenktag)

mit Christoph Kaiser als Jochen Klepper

Drehbuch und Regie: Benjamin Martins
Produktionsfirma: Herbsthundfilme

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32912
weiterlesen...