SWR4 Abendgedanken

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16APR2021
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Eines meiner Lieblingsbücher ist „Das Lied der Bernadette“ von Franz Werfel. Werfel beschreibt in diesem Roman die Lebensgeschichte von Bernadette Soubirous aus Lourdes. Wie sie als junges Mädchen in Armut aufwächst. Wie sie fast noch als Kind eine Marienerscheinungen hat. Der Dorfpfarrer erklärt sie erst mal für verrückt. Erst als unheilbar Kranke dort geheilt werden, wird sie langsam ernst genommen. Man kann sich das nur als Wunder erklären. Das Wunder der Bernadette von Lourdes. Das bedeutet aber, dass sie bis zu ihrem Tod als Nonne ins Kloster muss. So einer bleibt ja nur ein frommes Leben übrig, wenn sie glaubwürdig bleiben will. Das Dörfchen Lourdes ist heute ein Wallfahrtsort und steht für viele Menschen für die Hoffnung, dass sich immer wieder wunderbare Dinge ereignen.

Diese Geschichte ist schnell erzählt, aber mich berührt, wie Werfel sie erzählt. Er ist Jude und beschreibt die christkatholische Welt so einfühlsam und liebevoll, wie ich es nur einem überzeugten Katholiken zugetraut hätte. Werfel stimmt damit ganz neue Töne an in der Frage, wie Menschen unterschiedlichen Glaubens miteinander umgehen. Für mich macht das den Roman zu einem Lied der Religionen.

Für Werfel ist es nicht so wichtig gewesen, welche Religion jemand hat, ob er Jude oder Christ ist. Für ihn ist der Mensch wichtig und was er glaubt und hofft. Werfel hat die beiden großen Kriege erlebt. Für ihn zählt, dass jeder Mensch in Frieden und glücklich leben kann, egal, welche Religion er hat oder zu welcher Nation er gehört. Es geht um den Menschen (wie das Hirtenmädchen Bernadette). Werfel ist überzeugt, dass Gott so alle Menschen liebt, die das Gute suchen.

Franz Werfel hat noch einige Erzählungen geschrieben, in denen christliche Überzeugungen eine wesentliche Rolle spielen. Er sieht sich dabei als ein Vermittler zwischen Juden und Christen. Das hat ihm einige Kritik eingebracht und er musste es in seinem Freundeskreis mit Feuereifer diskutieren und vertreten.

Ich lerne von Werfel, dass ich als Christ mit Menschen ins Gespräch komme, die etwas anderes glauben als ich. Ich frage mich, wie das Gespräch verlaufen könnte, wenn ich mich wie Franz Werfel einfühlsam in den Glauben der andren hineinversetze, zum Beispiel meine muslimische Kollegin: Ich kann sie mit ihrem Kopftuch als Fremde anschauen, aber auch als einen Menschen, der seine Überzeugt lebt und zeigt und Gott folgen will. Wenn ich sie so sehe, sehe ich ja schon das, was uns verbindet. Dazu muss ich meinen Glauben nicht aufgeben. Im Gegenteil, für mich als Christ ist das ein Zeichen, dass ich meinen Glauben ernst nehme. Denn ich vertraue ja darauf, dass der Gott Jesu alle Menschen liebt, die guten Willens sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32908
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