SWR4 Abendgedanken

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06APR2021
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Sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen – das geht natürlich nicht. Es sei denn, man heißt Baron von Münchhausen und erzählt „Lügengeschichten“. In einer seiner Geschichten erzählt er davon, dass er mit seinem Pferd unterwegs gewesen und dabei an ein Sumpfloch gekommen sei. Beim Versuch, mit seinem Pferd über dieses Loch zu springen, sei er aber zu kurz gesprungen, samt Pferd im Sumpfloch gelandet und langsam darin versunken. Da habe Münchhausen sich mit seinem eigenen starken Arm an den Haaren gepackt, das Pferd mit den Beinen fest umklammert und sich und das Pferd wieder aus dem Sumpfloch herausgezogen.

Natürlich weiß ich, dass das nicht funktioniert. Aber wenn ich ehrlich bin, dann ist es genau das, was ich mir in meinem Herzen oft wünsche: Ich könnte mich selbst aus dem Sumpf ziehen. Ich könnte mich selbst aus allen Problemen befreien. Ganz egal, was das für Probleme sind: In meinem Beruf. Oder finanzielle Probleme. Oder Probleme in meiner Ehe. Oder Probleme meiner Kinder, in die ich mitverwickelt bin. Am liebsten würde ich alle Probleme aus eigener Kraft überwinden. Ohne Hilfe von außen. Nur: Es geht nicht.

Das wusste auch der Apostel Paulus. Darum hat er in seinem Galaterbrief geschrieben: „Einer trage die Last des andern“ (Gal 6,2)  Es klappt eben nicht, dass man sich selbst aus dem Sumpf ziehen kann. Bei niemandem geht das, weder zur Zeit des Paulus noch heute. Darum brauchen wir einander, um uns gegenseitig zu helfen und unsere Lasten zu tragen.

Ich habe das erst im Laufe meines Lebens lernen müssen. Und es fällt mir bis heute schwer, das einzugestehen. Es fällt mir schwer, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Ich möchte nicht gerne schwach oder hilflos erscheinen. Aber in Wahrheit brauche ich immer wieder andere Menschen, die mir helfen. Indem sie zuhören, indem sie mir einen guten Rat geben oder manchmal auch, indem sie mir ganz praktisch zur Seite stehen und zupacken. Also will ich es immer wieder mit dem Rat von Paulus versuchen: „Einer trage des andern Last“. So lerne ich, andere um Hilfe zu bitten. Und ich helfe, wenn andere mich bitten.

Denn zu meinen, ich könnte alles aus eigener Kraft schaffen, das ist eben eine Lügengeschichte.

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