Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10APR2021
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„Fühl dich umarmt.“ Diesen Satz schreib ich oft unter Handy-Nachrichten. Zum Geburtstag oder wenn ich weiß, dass es jemandem nicht so gut geht. Fühl dich umarmt, weil ich es gerade nicht kann. Wegen der Entfernung und seit über einem Jahr auch wegen Corona. Gerade an Ostern hätte ich manche gerne in den Arm genommen. Ihnen gezeigt, dass sie mir wichtig sind, und dass wir in dieser schwierigen Zeit miteinander verbunden sind.

Jetzt habe ich erfahren, dass ich nicht nur liebe Menschen umarmen kann, sondern auch meine Geduld. Das habe ich in der Klosterregel des heiligen Benedikt gelesen. Die ist schon 1500 Jahre alt. Damals hatten sie´s noch nicht so mit dem Gendern, deshalb ist darin immer nur vom „Mönch“ die Rede – gemeint sind aber auch alle Frauen.

Was ich erstaunlich finde, ist, dass in dieser Klosterregel das Wort „umarmen“ gerade dann auftaucht, wenn Mönche in einer herausfordernden Situation sind. Es heißt: Wenn alles schwierig ist, dann soll der Mönch "schweigend und bewusst die Geduld umarmen" (vgl. RB 7, 35).

Wenn Benedikt in seiner Klosterregel die Mönche also auffordert geduldig zu sein, dann meint er mehr, als die Situation nur irgendwie hinzunehmen. Mehr als nur auszuhalten, weil mir im Moment eh nichts anderes übrig bleibt. Er rät, dass ich die Geduld zu einer lieben Person mache, die ich nah an mich heranlassen und umarmen soll.

Das finde ich echt schwer. Geduld ist nicht so meine Stärke. Es strengt mich an, dass die Pandemie schon seit über einem Jahr von mir fordert, dass ich geduldig warten muss: bis genug Impfstoff da ist, bis es Sommer wird und dieser Virus irgendwie unter Kontrolle ist. Und gerade jetzt soll ich die Geduld willkommen heißen?

Mich erinnert das daran, dass Jesus mal gesagt hat: Wenn dir einer auf die rechte Wange haut, halte ihm die linke auch noch hin. Das klingt wie eine Zumutung. Dass ich alles aushalten muss. Doch das ist nicht gemeint. Wenn ich nicht gleich um mich schlage, sondern die Situation ertrage und sogar noch halbwegs freundlich dabei bin, dann nehme ich dem anderen die Macht über mich. Es ist also eher ein friedlicher Widerstand, der aber sehr wirksam sein kann.

Die Geduld umarmen, bedeutet dann: Gib nicht auf. Verlier den Mut nicht – egal, wie lange es dauert. Irgendwann wird es wieder anders, wird es gut werden. Und bis dahin ist Gott bei dir. Also: weiche der Situation nicht aus, leiste friedlichen Widerstand und umarme das, was jetzt ist.

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