SWR2 Wort zum Tag

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29MRZ2021
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Es gibt eine wahnsinnig anstrengende Turnübung an den Ringen. Da braucht man einfach nur Kraft, selbst mit der richtigen Technik. Die Übung heißt „Kreuzhang“ oder „Kreuzstütz“. Ein Trainer hat mal darüber gesagt: „Man könnte angesichts des Schweregrads fast katholisch werden, aber keine Angst: sie ist auch für Atheisten geeignet.“

Die Übung geht so: Man stützt sich mit den Armen auf die frei baumelnden Ringe – schon das ist nur was für Spezialisten. Dann spreizt man die Arme seitlich ab und lässt sich langsam sinken bis die Arme rechtwinklig nach außen stehen und man dahängt wie Jesus am Kreuz. Deshalb auch der Name „Kreuzhang“.

Als Seelsorger bin ich oft bei Menschen, die gerade wie im „Kreuzhang“ dahängen. Menschen, die unheimlich viel Kraft brauchen, um weiterleben zu können: Leute, die trauern oder krank sind. Leute in schwierigen Situationen, weil es hapert in der Beziehung, weil es Streit in der Familie gibt, oder weil das Geld nicht reicht. Von denen höre ich immer wieder den Satz: „Es ist alles so anstrengend - ich bin froh, dass ich meinen Glauben habe.“

Was kann der Glaube in schwierigen Zeiten ausrichten? Einige schätzen daran die Gemeinschaft, mit der sie verbunden sind. Selbst wenn man sich nicht persönlich treffen kann - für viele reicht die Gewissheit aus, dass es viele, viele andere gibt, die das gleiche glauben, und die auch füreinander einstehen und beten.

Für andere ist die Hoffnung ganz wichtig, dass es nach dem Tod noch etwas gibt, dass es weitergeht. Und dass dieses dann auch etwas mit dem Leben hier und jetzt zu tun haben wird. Ich hoffe zum Beispiel, dass ich liebe Menschen wiedersehen werde, dass ich nicht ganz neu von vorn anfangen muss, sondern dass sich alles zum Guten wenden wird, was hier anstrengend oder an die Wand gefahren war.

Es gibt den Spruch „Glauben versetzt Berge“, und er stammt sogar aus dem Neuen Testament. Ich verstehe ihn nicht so, dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur genug dran glaube – einen Streit beilegen, eine Krankheit besiegen oder eine schwierige Turnübung wie den „Kreuzhang“. Aber „Glauben versetzt Berge“ könnte heißen: wenn ich mit den konventionellen Mitteln am Ende bin, dann kann der Glaube neue Kraft geben und vielleicht weiterhelfen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32872
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