SWR2 Wort zum Tag

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24MRZ2021
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Heute, in der Mitte der Passionszeit, möchte ich darüber nachdenken, ob Leiden zum Leben gehört. Auch wenn es nicht gerade angenehm ist: Offenbar ist es so. Selbst Jesus ist nicht verschont geblieben – bereits vor seiner Passion. Wie oft wird Jesus geweint haben: über begriffsstutzige Jünger, über seine Familie, die ihn für verrückt hielt. Selbst für den Sohn Gottes gab es kein Leben ohne Leiden.

Allerdings: Interessanterweise wird sogar in der Bibel ein Leben ohne Leiden angeboten – die Offerte hat jedoch ihre Tücken. Was so verführerisch klingt ist - wenig verwunderlich - ein Angebot des Teufels. In der Welt des Teufels läuft angeblich alles rund: Steine werden zu Brot, die ganze Welt legt er Jesus zu Füßen und wenn er sich in den Abgrund wirft, werden Engel ihn auffangen. Das klingt attraktiv: nicht mehr hungrig sein und jeder Herausforderung gewachsen sein. Ein glückliches Leben!

Jesus lehnt das Schnäppchen ab – der Preis ist zu hoch. Jesus müsste dafür den Teufel anbeten und damit seine Seele verkaufen. Mag sein, in einem seelenlosen Leben gibt es keine Tränen und kein Leid – es gibt jedoch auch keine Tiefe und keine Liebe. Es ist sicher kein Zufall, dass man nicht nur aus Trauer, sondern auch vor Freude weinen kann; und dass einem sowohl Liebeskummer als auch eine erwiderte Liebe oder ein unerwartetes Glück die Tränen in die Augen treiben kann. Tränen können anzeigen, dass ein Mensch ganz tief angerührt ist. Und das geht nur, wenn ein Mensch sich seine Seele bewahrt hat. Und Mut hat, sich auf das ganze Leben einzulassen.

Wahres Leben funktioniert nur mit Licht und Schattenseiten. Das weiß nicht nur die Bibel, das wissen auch die Märchen! Es ist nicht zufällig ebenfalls der Teufel, der im Märchen dem Schlemihl den Schatten abkauft, was der dann bitter bereut. Es geht nur mit den Schatten! Das bedeutet noch längst nicht, dass man begeistert sein muss, wenn es einem schlecht geht. Es ist ganz normal, dass man sich oft genug wünscht, dass der Kelch an einem vorbeigehen möge. Das war auch bei Jesus der Fall. Er liebte das Leben, nicht das Leiden. Aber wer das Leben liebt, wird auch das Leiden erleben. Die Götter der Antike litten höchstens an einem gepflegten Liebeskummer oder an Eifersucht. Die Passionszeit erinnert daran, dass der Gott, an den Christen glauben, dem Leiden nicht ausgewichen ist. So dass alle Menschen, die leiden, sich nicht gottverlassen fühlen müssen. Ich finde das tröstlich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32805
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