Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16MRZ2021
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Die Passionszeit ist eine besondere Zeit. Viele Christen gestalten sie unter dem Motto „Sieben Wochen ohne…“ Andere verzichten auf Fleischkonsum, Alkohol, Nikotin oder Fernsehen. Wieder andere betrachten sie als richtige Fastenzeit: um abzunehmen oder um den Körper zu entgiften. Manche Zeitgenossen wollen gesunder, schöner, schlanker Frühling und Sommer genießen. Dabei werden dann die aufgestellten Regeln entweder genau beachtet oder auch laxer gehandhabt. Wie dem auch sei: Man könnte sich wunderbar über das Fasten und seine Nebenwirkungen streiten – und zwar nicht erst seit heute. Das war auch schon früher so.

Zu diesem Thema fand ich bei John Wesley (1703-1791), dem Gründer der methodistischen Bewegung, also bei „meinem aufgeklärten Kirchenvater“, einige interessante Gedanken. Dieser Menschenfreund, der sogar für die Abschaffung der Sklaverei eintrat, hatte für sein theologisches Denken vier Leitfragen. Er fragte: Was sagt die Bibel? Wie dachten die früheren Theologen? Was ist vernünftig? Was erfahre, erlebe ich selbst? Bibel, christliche Tradition, Vernunft und Erfahrung bestimmten sein Denken und Reden. Das war damals außergewöhnlich.

In exakt dieser Linie dachte John Wesley auch über das Fasten nach. Er schreibt: Bei keiner Sache „haben sich die Menschen mehr in Extreme verrannt als bei dem religiösen Fasten, von dem Jesus Christus gesprochen hat. Einige haben das Fasten weit höher bewertet, als es von Schrift und Vernunft her geboten ist. Andere dagegen haben es völlig missachtet und – als müssten sie Rache nehmen – es ebenso unterbewertet, wie die anderen es überbewertet haben. Die einen haben vom Fasten gesprochen, als wäre es das alles Entscheidende – wenn nicht das Ziel selbst, so doch unaufgebbar damit verknüpft. Die anderen meinten, das Fasten habe keinerlei Bedeutung und es sei eine fruchtlose Mühe, die überhaupt keine Beziehung zum Ziel des Glaubens habe. Die Wahrheit liegt sicher dazwischen: Das Fasten ist nicht alles, aber auch nicht nichts. Es ist nicht das Ziel selbst, aber ein kostbares Mittel, das dorthin führt; ein Mittel, das Gott selbst eingesetzt hat, durch das er uns gewiss seinen Segen geben will, wenn es richtig gebraucht wird“.

Sollten Sie also noch überlegen, ob Sie in diesem Frühjahr fasten wollen oder nicht, dann entscheiden Sie sich ruhig und vernünftig. Denn ein vernünftig durchgeführtes Fasten tut dem Körper ebenso wie dem Geist, der Psyche gut – gerade in diesen aufregend-bewegten Zeiten.

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 Über allem die Liebe. Ein John-Wesley-Brevier, Stuttgart 2000, zum 17. März

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